Dezember 2003
Human Rights Update
Dezember 2003
Inhalt
  1. Khenpo Jigme Phuntsog, der Abt des buddhistischen Instituts Serthar, ist verstorben
  2. Ein tibetischer Gefangener an der Folter gestorben
  3. Lehrer zu fünf Jahren Haft verurteilt
  4. Heimleiter zu 15 Jahren Haft verurteilt, Waisenhaus geschlossen
  5. Das TCHRD begeht den 55. Tag der Menschenrechte
  6. Neuer Grenzposten soll den Strom tibetischer Flüchtlinge aufhalten
  7. Tibetische Gebetsfahnen und Steinpyramiden vom Potala-Palast und Chakpori Hügel entfernt
  8. UN-Bericht kritisiert die chinesische Bildungspolitik
  9. Tulku Tenzin Delek: Erster Jahrestag des Todesurteils
Teil 1

Khenpo Jigme Phuntsog, der Abt des buddhistischen Instituts Serthar, ist verstorben

Bestätigten Berichten an das TCHRD zufolge ist der Gründer und Abt des buddhistischen Instituts Serthar, Khenpo Jigme Phuntsog, am Abend des 6. Januar 2004 in einem Hospital in der Stadt Chengdu in der Provinz Sichuan verstorben. Khenpo war 72 Jahre alt. Er verstarb im Militärkrankenhaus Nr. 363, wo er bereits früher ärztlich behandelt wurde. Früheren Informationen gemäß sollte er sich am 29. Dezember 2003 gegen 10.00 vormittags einer Herzoperation unterziehen.

Die chinesischen "Arbeitsteams" sollen am Morgen des 7. Januar 2004 aus dem Institut abgezogen sein, in dem sie seit 2000 stationiert gewesen waren. Die staatliche Überwachung im Kreis Serthar und den Nachbarkreisen Barkham und Tawu wurde jedoch verschärft. Die zum Buddhistischen Institut Serthar führenden Straßen wurden alle für den Verkehr geschlossen und niemand darf das Institut aufsuchen oder es verlassen.

Am 8. Januar 2004 wurden Regierungsbeamte zu einem Meeting in Serthar beordert, wo ihnen eingeschärft wurde, jeglichen Protest im Zusammenhang mit Khenpos Tod sofort niederzuschlagen. Außerdem wurde den Tibetern unter den Offiziellen verboten, dem Körper des Khenpo die letzte Ehre zu erweisen.

Hintergrundinformationen über Khenpo Jigme Phuntsog und das buddhistische Institut Serthar:

Khenpo Jigme Phuntsog wurde im Jahr 1932 im Dhok-Gebiet der Region Kham geboren und gehörte einer bedeutenden und sehr religiösen Nomadenfamilie an. Im Alter von zwei Jahren wurde er von Terton Wangchuk und Tashul Lama von der Nyingma-Schule des tibetischen Buddhismus als Reinkarnation von Terton Lerab Lingpa (1852-1926) oder Sogyal Rinpoche erkannt. Dieser war ein enger spiritueller und persönlicher Freund des 13. Dalai Lama gewesen. Khenpo studierte zuerst unter Anleitung seines Onkels, eines angesehenen Lama-Lehrers im Kloster Nubsur und wurde später in Dzogchen, der Lehre der Großen Vollkommenheit (Great Perfection Teachings) unterrichtet. Bereits im Alter von 14 Jahren ließ er sich von Khenchen Sonam Rinchen, dem Abt des Klosters Drakdzong, als Mönch ordinieren. Mit 18 Jahren begab er sich in das Dzatoe Changma Retreat Centre, wo er unter der Anleitung verschiedener Lehrer studierte, meditierte und schließlich sechs Jahre lang als Eremit lebte. Mit 22 wurde er zum bhikshu (voll ordinierter Mönch) geweiht und im Alter von 26 Jahren gründete er das Retreat Centre Senggey Yangtsung in Amdo.

Khenpo Jigme Phuntsog war ein ungeheuer populärer religiöser Würdenträger. Im Jahr 1980 gründete er das konfessions-unabhängige buddhistische Institut Serthar als Studienzentrum mit anfänglich weniger als 100 Studenten. Das vor Ort unter dem Namen Larung Gar bekannte Institut Serthar entwickelte sich zu einer ausgedehnten spirituellen Oase für mehr als 8000 Mönche, Nonnen und Laien. Der Khenpo unternahm früher zahlreiche Reisen, auch ins Ausland, um Belehrungen zu erteilen. 1990 besuchte er den Dalai Lama in Indien.

Im Sommer und Herbst 2001 wurde das Institut von den Behörden abgebrochen. Mehr als 8000 Studenten wurden gewaltsam der Schule verwiesen. Unter Aufsicht von Militär- und Polizeieinheiten wurden an die 2000 Hütten der Mönche und Nonnen zerstört. Der Khenpo wurde das ganze Jahr über ohne Verbindung zur Außenwelt in Chengdu festgehalten. 2002 kehrte er in sein Institut zurück, wo ihm seine Schüler und die Tibeter der Gegend einen innigen Empfang bereiteten. Seine Freizügigkeit war jedoch eingeschränkt, und es dauerte noch einige Zeit, ehe er seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen konnte. Immer wieder hörte man das ganze Jahr 2002 und 2003 über von Scharmützeln, Festnahmen und Demolierungen.

Teil 2

Ein tibetischer Gefangener an der Folter gestorben

Tenzin Phuntsok, der früher einmal Mitglied der "People's Political Consultative Conference" von Khangmar war, starb am 8. September 2003 in einem Krankenhaus in Shigatse - wie es heißt infolge der Folterungen und der Schläge, die er während der Inhaftierung im Nyari Gefängnis in Shigatse erlitten zu erdulden hatte.

TibetNet zufolge wurde der aus der Gegend Khangmar in der Präfektur Shigatse stammende Tenzin Phuntsok am 21. Februar 2003 von PS-Kräften aus Shigatse unter dem Verdacht "politisicher Aktiviten" festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Vierundsechzigjährige bei bester Gesundheit. Die ortsansässige Bevölkerung führt den so plötzlichen Tod von Tenzin Phuntsok auf die Mißhandlungen im Gefängnis zurück. Tenzin Phuntsok, ein angesehener Mann in seiner Heimatstadt, wirkte kurzzeitig auch als Mitglied der "Politischen Konsultativkonferenz des Volkes" von Khangmar. Mehrere Male war er auf Pilgerfahrt in Indien gewesen, wobei er auch Verwandte besuchte. 2001 soll er sich länger dort aufgehalten haben. Er hinterläßt seine Frau, seine Mutter und 11 Kinder. Dies war nicht das erste Mal, daß Tenzin Phuntsok festgenommen und eingesperrt wurde. Bereits 1959, als Mao Zedongs Volksbefreiungsarmee Tibet überrannte, soll er 5 Jahre, damals zusammen mit seinem Vater, im Gefängnis gesessen haben. In jener Zeit machte seine Familie unter der chinesischen Herrschaft Unsägliches durch.

China ratifizierte die UN Konvention gegen Folter (CAT) 1988. Die Todesfälle, von denen immer wieder berichtet wird, die auf Folterung durch chinesisches Gefängnispersonal zurückzuführen sind, lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob es China mit seinen Verpflichtungen im Sinne dieser Konvention ernst meint. Vor ein paar Monaten, im September 2003, berichtete das TCHRD vom Tod des Nyima Drakpa, einem Mönch aus dem Kreis Tawu in der Provinz Sichuan, der den Grausamkeiten im Gefängnis erlegen war. Das TCHRD appelliert erneut an das UN Komitee gegen Folter und an den Sonderberichterstatter über Folter, diesen Fall untersuchen zu lassen, und freien Zugang zu den Gefangenen in Tibet zu fordern.

Teil 3

Lehrer zu fünf Jahren Haft verurteilt

Bestätigten, dem TCHRD zugegangenen Informationen zufolge wurde der 65 Jahre alte Lehrer Nyima Tsering im Juni 2003 vom Mittleren Volksgericht Gyantse wegen "Volksverhetzung" zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Nyima und ein weiterer Tibeter, der Ladeninhaber Sonam, wurden im Dezember 2002 unter der Beschuldigung, Flugblätter mit der Forderung nach Unabhängigkeit für Tibet verteilt zu haben, festgenommen. Beamte des PSB des Distrikts Gyantse nahmen beide Männer zu Hause fest. Im Juni 2003 wurde Nyima Tsering vom Mittleren Volksgerichtshof Gyantse zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, während Sonam eine sechsmonatige Haftstrafe erhielt. Beide Männer wurden in das Haftzentrum des PSB Shigatse - gemeinhin Nyari Haftzentrum genannt - verlegt. Nach einigen Monaten wurde Sonam entlassen und Nyima in das Gefängnis Drapchi in Lhasa verlegt.

Der 65 Jahre alte Nyima Tsering wurde im Distrikt Gyantse (ch: Jiangzi Xian), Präfektur Shigatse, TAR geboren. Bereits in früher Kindheit wurde er im Kloster Lhunpo zum Mönch ordiniert. Nachdem er das Kloster verlassen hatte, unterrichtete er zwanzig Jahre lang Tibetisch an der örtlichen staatlichen Grundschule. Selbst als er 2001 das Pensionsalter erreicht hatte, fuhr er fort, an dieser Schule zu unterrichten. Bei der dortigen Bevölkerung ist Nyima Tsering seines Wissens und seines umgänglichen Wesens wegen sehr beliebt.Tibetischer Lehrer zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Teil 4

Heimleiter zu 15 Jahren Haft verurteilt, Waisenhaus geschlossen

Bangri Tsamtrul Rinpoche, alias Jigme Tenzin Rinpoche, wurde im Distrikt Nangchen, TAP Kyegudo, Provinz Qinghai geboren. Er wurde als eine Reinkarnation von Bangri Rinpoche vom Kloster Nagchen Bangri erkannt.

Bangri Rinpoche hat sich mit großem Eifer für Kinder eingesetzt, vor allem für Waisen, die, obwohl sie bereits im Schulalter sind, nur ungenügenden Zugang zu Bildungsmöglichkeiten haben. Seinem Engagement und seiner Großherzigkeit ist es zu verdanken, daß in der Ortschaft Gyatso in der Nähe des Norbulingka Palastes das Gyatso Waisenhaus mit angegliederter Schule entstand, das er auf eigene Kosten und mittels großzügiger Spenden erbaute.

Im Mai 1996 bezogen 40 Waisen aus allen Teilen Tibets das Heim. Der Rinpoche übernahm die generelle Verantwortung für das Waisenhaus, während seine Frau Nyima Choedron ihn bei der Verwaltungsarbeit unterstützte. Die Kinder erhielten Unterricht in Tibetisch, Chinesisch, Englisch und Mathematik. Der Tag begann und endete mit Gebeten. Im August 1999 drangen Polizisten des PSB von Lhasa in das Heim ein und verhafteten Bangri Rinpoche, seine Frau und drei Lehrer unter dem Verdacht politischer Aktivitäten. Die Beamten durchwühlten das Haus und das Zimmer des Rinpoche. Anschließend wurden Bangri Rinpoche und seine Frau in einem Polizeifahrzeug, das draußen gewartet hatte, heimlich in eine Haftanstalt weggefahren.

Das PSB verfügte die Schließung des Waisenhauses und ordnete an, daß alle Kinder in ihre Herkunftsgebiete zurückzukehren hätten. Da die Waisen kein Zuhause hatten, wohin sie hätten gehen können, blieb vielen Kindern nichts anderes übrig, als sich in den Straßen von Lhasa mit Betteln durchzuschlagen.

Wangchen Choegyal (12) der es bis nach Indien geschafft hat, um dort weiter zur Schule zu gehen, erzählte dem TCHRD: "Als der Rinpoche und die Lehrer verhaftet wurden, fragten die Polizisten die Kinder, woher sie stammten. Zwanzig von uns kamen aus Chamdo, weshalb wir alle in einen großen Lastwagen gesteckt und dorthin zurückgefahren wurden. Ich blieb nicht lange in Chamdo, sondern ging bald wieder nach Lhasa, wo ich bei einem entfernten Verwandten Unterschlupf fand. Als ich eines Tages am Markt von Barkhor vorbeikam, sah ich dort Choesom (13), Tsesod (7) und Norzom (7) betteln.

Bangri Tsamtrul Rinpoche und seine Frau wurden wegen angeblicher "Gefährdung der Staatssicherheit" zu 15 bzw. 10 Jahren Haft verurteilt. Beide verbüßen ihre Strafe im Drapchi Gefängnis im Norden LhasasBei einem Gespräch mit Vertretern einer westlichen Regierung im Rahmen des Menschenrechtsdialogs bestätigten die Chinesen die Inhaftierung von Nyima Choedron.

Teil 5

Das TCHRD begeht den 55. Tag der Menschenrechte

Am 10 Dezember begehen wir den 55. Tag der Menschenrechte. Das ist eine passende Gelegenheit, um über die Situation der Menschenrechte in der Welt im vergangenen Jahr nachzudenken und sich zu entscheiden, auch weiterhin für eine friedlichere und freie Welt zu arbeiten. Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) ist tief besorgt über Chinas anhaltende grobe Verletzungen der Menschenrechte in Tibet.

An demselben Tag des vergangenen Jahres brachte das TCHRD sein Entsetzen über das gerade gegen einen bekannten Lehrer des tibetischen Buddhismus, Tulku Tenzin Delek, mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub verhängte Todesurteil, sowie über die Verurteilung seines Mitangeklagten Lobsang Dhondup zur unmittelbaren Hinrichtung wegen ihrer angeblichen Mitwirkung bei "Bombenanschlägen" zum Ausdruck. Unter vollständiger Mißachtung zahlreicher internationaler Appelle hielt der Obere Volksgerichtshof von Sichuan in Chengdu in seiner Berufungsverhandlung den zuvor ergangenen Urteilsspruch aufrecht und ließ Lobsang Dhondup am 26. Januar 2003 hinrichten. Dieser Vorfall läßt kaum noch Raum für Zweifel an unserer Befürchtung vom letzten Jahr, dass nämlich China versuchen würde, den globalen Feldzug gegen den "Terrorismus" zu mißbrauchen, um die friedlichen religiösen und politischen Äußerungen der Tibeter zu unterdrücken. Trotz der westlichen Regierungen gegenüber zur Schau getragenen Bonhomie wurde damit deutlich, was Chinas wirkliche Absichten in Sachen Menschenrechte sind.

Den Internationalen Tag der Menschenrechte zum Anlass nehmend, bittet das TCHRD die Führung in Peking erneut, ihre Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte und der internationalen Gemeinschaft gegenüber ernst zu nehmen und Tulku Tenzin Delek bedingungslos freizulassen. Weiter fordert das TCHRD Peking zur Freilassung aller übrigen politischen Häftlinge in Tibet auf.

Die Lage der Tibeter in Tibet blieb im Jahr 2003 weiterhin angespannt und prekär. Während der vergangenen zwölf Monate wurde über eine ganze Reihe von Festnahmen und Inhaftierungen ohne fairen Prozeß berichtet. Das TCHRD dokumentierte die Festnahme von ungefähr 25 Tibetern, die willkürlich verhaftet und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die meisten dieser Verhaftungen stehen mit dem Fall Tulku Tenzin Delek oder der friedlichen und nachdrücklichen Loyalitätsbezeugung dem Dalai Lama gegenüber in Verbindung.

Die Unduldsamkeit der chinesischen Regierung gegenüber religiösen Autoritäten und Einrichtungen, die bei der örtlichen Bevölkerung Ansehen genießen, ist mittlerweile eine bekannte Tatsache. Ihr hartes Durchgreifen gegenüber den Tibetern beschränkt sich nicht nur auf einige wenige Aspekte des Lebens, sondern ist eine Praxis, die keinen Aspekt des öffentlichen Lebens ausläßt. Kurz nach der in den Medien eingehend behandelten Schließung des Buddhistischen Instituts Serthar im Jahr 2001 ließ die Regierung eine weitere bekannte Schule schließen. Die Ngaba Kirti Klosterschule in der Provinz Sichuan wurde in Folge des Drucks der Behörden am 29. Juli 2003 dicht gemacht.

Sogar jenseits der Grenzen sind die Tibeter nicht sicher vor den Übergriffen der Chinesen. Daß China über Mittel und Wege verfügt, den Tibetern ihre grundlegenden Freiheiten auch mit Hilfe Dritter zu verwehren, wurde bei der in diesem Jahr von den nepalesischen Behörden vorgenommenen Abschiebung von achtzehn tibetischen Flüchtlingen nach China deutlich sichtbar. Trotz wiederholter Appelle der internationalen Gemeinschaft beugte sich die nepalesische Regierung dem Druck der chinesischen Botschaft und lieferte die 18 Tibeter am 31. Mai 2003 aus. Durch die bedrohliche Präsenz des autoritären chinesischen Regimes sogar jenseits der Grenze fühlen sich die weiterhin ins Exil flüchtenden Tibeter, ebenso wie auch alle anderen, die an die menschliche Freiheit glauben, noch hilfloser und verzweifelter.

Während China mit Vehemenz die Erfüllung der Ziele des vielgepriesenen "Westlichen Entwicklungsprogramms" verfolgt, bleiben für die Tibeter viele Fragen bezüglich ihres Rechts auf Selbstbestimmung und der Frage des Schutzes ihrer fragilen Umwelt offen. Der Bau einer Eisenbahnlinie von Gormo in der Provinz Qinghai nach Lhasa bietet Anlaß zu großer Besorgnis, denn wir befürchten, daß die Tibeter in der TAR mit der Zeit marginalisiert werden. Andere aktuelle Projekte wie die Errichtung von Kraftwerken auf dem Hochplateau führten zur Umsiedlung einer großen Anzahl tibetischer Nomaden von ihrem angestammten Land. Nichts illustriert die Härte derartiger Maßnahmen für das Leben der Bevölkerung besser als die Aussage von Nomaden aus den Distrikten Golog und Yushul, sie fühlten sich, seit man sie gezwungen hat, die Lebensweise ihrer Vorfahren aufzugeben, "wie aus dem Wasser geworfene Fische".

Am heutigen Tag der Menschenrechte bedankt sich das TCHRD bei all denjenigen, die ihre Solidarität mit dem tibetischen Volk in seinem Elend bekundet haben. Außerdem rufen wir jedermann auf, uns bei unseren Bemühungen um die Sicherstellung der Menschenrechte und der Menschenwürde für die Tibeter in Tibet zu unterstützen.

Teil 6

Neuer Grenzposten soll den Strom tibetischer Flüchtlinge aufhalten

Einem Bericht der ICT vom 4. Dezember 2003 zufolge haben die Chinesen eine befestigte Straße zu der tibetischen Stadt Gyaplung gebaut. Der Ort ist nur 6 km vom Nangpa La (Nangpa-Paß) an der nepalesisch-tibetischen Grenze entfernt. Die neue Straße dient folglich dazu, die Grenze für tibetische Flüchtlinge abzuriegeln. Der Nangpa La liegt5.716 m über dem Meeresspiegel und ist die gängigste Fluchtroute für Tibeter. Die Volksbefreiungsarmee (PLA) und die bewaffnete Volkspolizei (PAP) planten und bauten die Straße gemeinsam und errichteten in 4877 m Höhe die am höchsten gelegene chinesische Grenzstation.

Vor Eröffnung des neuen Grenzpostens befand sich die wichtigste PAP-Grenzstation im 25 km nordwestlich vom Nangpa La gelegenen Tragmar. Berichten zufolge haben die Chinesen ihre Grenzpatrouillen während der vergangenen zwei Jahre deutlich verstärkt. Wie ernst es den Chinesen mit der Kontrolle ist, beweisen Aussagen von Flüchtlingen, die von wahllosen Schüssen der Sicherheitsbeamten auf Flüchtende berichten. Bereits im Oktober berichtete das TCHRD von der geglückten Flucht eines Tibeters, während chinesische Grenzpolizisten auf seine Gruppe geschossen hatten. "Wir waren 34 Leute in unserer Gruppe, die meisten aus der TAP Golok. Mit zwei Führern und 32 Flüchtlingen brachen wir von Lhasa aus auf. Als wir am 11. September 2003 in die Nähe des Mount Everest kamen, wurden wir von acht chinesischen Grenzpolizisten mit scharfer Munition beschossen. Die Gruppe geriet in Panik und rannte los, um sich in Sicherheit zu bringen. Einige von uns konnten entkommen, aber 17 Leute wurden festgenommen. Möglicherweise kamen bei der wilden Schießerei sogar einige ums Leben", erzählte Gedun Rabgyal dem TCHRD-Vertreter (vor Ort) in Kathmandu.

Nachdem immer mehr Tibeter bei Fluchtversuchen gefaßt und in chinesischen Gefängnissen (inhaftiert werden, sind Folter und Mißhandlungen mittlerweile zu alltäglichen Vorkommnissen geworden. Am 25. Dezember zitierte Radio Free Asia einen jungen tibetischen Flüchtling, der während seiner zwei Monate dauernden Haft Folter und Mißhandlungen ausgesetzt war. Er sagte: "Im Gefängnis wurden wir regelmäßig von chinesischen Aufsehern gefoltert, außerdem mußten wir von sechs Uhr früh bis zum Einbruch der Dunkelheit Feldarbeit leisten."

Der junge Mann, der anonym bleiben wollte, schilderte, welch ungeheures Ausmaß die Bestechlichkeit unter den chinesischen Beamten angenommen hat. Das chinesische Wachpersonal habe von den Gefangenen 10.000 yuan (ca. 2.000 US$) als Gegenleistung für ihre Freilassung verlangt.

Aus einem weiteren Bericht ist zu erfahren, daß 7 der 18 Tibeter, die von der nepalesische Polizei im Mai 2003 den chinesischen Behörden übergeben wurden, Ende September 2003 immer noch in Haft waren. Am 23. Dezember 2003 berichtete ICT von einem in Nepal eingetroffenen ehemaligen Gefangenen, der erzählte, in welch erschütternder Verfassung sich die 18 Tibeter befanden. Die Gefangenen wurden mit elektrischen Stöcken gefoltert und geschlagen. Er berichtete auch über die extreme Grausamkeit, mit der das Gefängnispersonal die inhaftierten Tibeter behandelte - beispielsweise wandten sie eine Foltermethode an, bei der sie Nähnadeln ihnen zwischen die Fingernägel und die Fingerkuppen stießen.

Teil 7

Tibetische Gebetsfahnen und Steinpyramiden vom Potala-Palast und Chakpori Hügel entfernt

Ein von Radio Free Asia Interviewter, der nicht genannt werden will, erzählte am 12. Dezember 2003, chinesische Behördenvertreter hätten am 6. und 7. Dezember zahlreiche Gebetsfahnen, Gebetstrommeln und Steinpyramiden aus der Umgebung des Potala-Palastes und des Chakpori Hügels entfernt. Es ist ein Teil der tibetischen Kultur, Gebetsfahnen und Steinpyramiden anzubringen, damit alle Lebewesen in Frieden leben mögen. Man glaubt, der Wind würde die auf die Fahnen geschriebenen Gebete in alle Richtungen tragen. Diese Gepflogenheiten werden jedoch von den Chinesen als "rückständig" empfunden, und sie wollen die Tibeter davon abbringen - unter dem Vorwand von mehr Hygiene, damit "die Stadt schöner wird"!

Die Einwohner von Lhasa sahen in der Entfernung der Gebetsfahnen und Steinpyramiden eine Warnung der Behörden, ja nicht den Tag der Menschenrechte, also den 10. Dezember, der gleichzeitig der 14. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dalai Lama ist, zu begehen.


Teil 8

UN-Bericht kritisiert die chinesische Bildungspolitik

In ihrem 22-seitigen Bericht kritisiert die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, die Erziehungspolitik in China. Besonders beleuchtet werden die Rechte der Minderheiten, zu denen auch die Tibeter gehören. Dabei beklagt sie das politisch motivierte Bildungswesen, durch das die Minderheiten ihrer ethnischen Identität beraubt werden. Hier ein Zitat aus dem Bericht: "Das den Minoritäten aufoktroyierte Bildungssystem, in dem ihre Kinder zwangsweise bestimmten Bildungsmaßnahmen unterworfen werden, verletzt die Menschenrechte, indem es ihnen ihre sprachliche und religiöse Identität verwehrt".

Die Sonderberichterstatterin befaßte sich mit den Bedingungen für Bildung in der TAR und bemängelt den beklagenswerten Bildungsstandard der Tibeter. Zitat: "Die Sonderberichterstatterin war bestürzt über die mit 39,5 % sehr hohe Rate von Analphabeten in Tibet. Sie stellte die Frage an das Erziehungsministerium, ob einer der Gründe für diesen niedrigen Stand vielleicht sein könnte, daß die Alphabetisierungstests auf Tibetisch erfolgen, während die chinesische Sprache im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben häufiger benutzt wird". Die Sonderberichterstatterin empfiehlt die "vollständige Einbeziehung der Menschen- und Minderheitenrechte in Bildungspolitik, Gesetzgebung und Rechtspraxis".

Sie macht außerdem auf den Mangel an religiöser Toleranz in China aufmerksam und betont das völlige Fehlen von religiöser Freiheit: "Im Gegensatz zu Chinas internationalen Verpflichtungen in Sachen Menschenrechte ist Religionserziehung sowohl in öffentlichen wie auch in privaten Institutionen weiterhin verboten". Der Bericht empfiehlt die Umstellung des Erziehungssystems in China "im Hinblick auf den Erhalt der kulturellen Vielfalt. Ein Bildungssystem, das die Rechte von Minderheiten bejaht, erfordert, daß die Mehrheit den Wert der Sprache und Religion der Minderheiten in allen Lebensbereichen anerkennt. Andernfalls wird Bildung nur als Mittel zur Assimilierung betrachtet, was jedoch nicht mit Chinas Verpflichtungen im Hinblick auf die Menschenrechte vereinbar ist".

Es handelte sich um die dritte offizielle themenbezogene Mission im Rahmen der UN-Menschenrechtskommission, und die Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung verbrachte vom 10. September 2003 an fast 10 Tage in Peking. Die letzten beiden offiziellen Missionen waren die des Sonderberichterstatters für Religions- und Glaubensfreiheit 1994 und die der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen 1997. Im Gegensatz zu der jüngsten Mission, wurde den früher statt gefundenen ein Besuch in der TAR gestattet.

Teil 9

Tulku Tenzin Delek: Erster Jahrestag des Todesurteils

Am 2. Dezember 2003 jährt sich das vom Volksgerichtshof der Provinz Sichuan gegen den im Distrikt Lithang, TAP Kardze, hochangesehenen buddhistischen Lehrer Tulku Tenzin Delek, alias Ah-Nga Tashi (chin: A An Xha Xi), verhängte Todesurteil zum ersten Mal. Die Begründung für das Todesurteil mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub lautet, der Tulku sei an "Straftaten im Zusammenhang mit Sprengstoffexplosionen" beteiligt gewesen und habe "zur Spaltung des Landes aufgehetzt". Der unter derselben Beschuldigung mitangeklagte Lobsang Dhondup wurde allen internationalen Appellen zum Trotz am 26. Januar 2003, nur einen Monat nach der Verurteilung, hingerichtet.

Am 7. April 2002 war der Tulku zusammen mit vier anderen Mönchen vom PSB Sichuan verhaftet worden. Während der folgenden Wochen nahm die Polizei mindestens sechs weitere Menschen fest, die Geld für seine Verteidigung gesammelt hatten. In den darauffolgenden Monaten wurde berichtet, der Tulku und seine Helfer seien bei zwangsweise durchgeführten Verhören Schlägen und Folter ausgesetzt gewesen. Bei einer unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführten Gerichtsverhandlung wurden die beiden für schuldig befunden und drei Tage später verurteilt. Am 2. Dezember 2002 wurde Lobsang Dhondup zum sofortigen Tode und der Tulku zum Tode mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub verurteilt.

Das chinesische Strafrecht gesteht allen Angeklagten eine Berufungsfrist von zehn Tagen nach dem Urteilsspruch zu. Dem Tulku war jedoch das Recht auf einen Rechtsbeistand verwehrt worden, insofern als das nächsthöhere Gericht alle Anwälte, die ihn vertreten wollten, ablehnte. Der oberste Volksgerichtshof von Sichuan bestätigte das Urteil, und Lobsang Dhondup wurde am 26. Januar 2002 exekutiert. Das chinesische Strafrecht enthält keine ausdrückliche Unschuldsvermutung, was einen freien und fairen Prozeß verhindert. Dem International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) zufolge steht dem Angeklagten das Recht auf einen Anwalt seiner Wahl zu. China hat diese Übereinkunft zwar unterschrieben, doch noch nicht ratifiziert.

Den Nachwirkungen des 11. Septembers ist auch Chinas Entschlossenheit, religiöse und politische Aktivitäten als Akte des Terrorismus zu brandmarken, zuzuordnen. Im Dezember 2001 wurde das chinesische Strafrecht erweitert: Für Personen, welche "eine terroristische Organisation gründen oder führen", sind jetzt schwere Strafen von drei bis zehn Jahren, welche auch zu lebenslänglich ausgeweitet werden können, vorgesehen (Artikel 120 des Strafgesetzes). Der Begriff "terroristische Organisation" ist nur sehr vage definiert und bietet breite und dubiose Interpretationsmöglichkeiten, die auch gewaltlose politische Aktivitäten beinhalten können.

Ausgehend von all den vorliegenden Beweisen ist das TCHRD der Überzeugung, daß Tulku Tenzin Delek fälschlicherweise der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen beschuldigt wurde. Der Tulku ist bekannt für seine Vielzahl an sozialen Aktivitäten, wie der Bau von Schulen und Altenheimen, für seine Umweltaktionen und die Schlichtung von Streitigkeiten unter der Bevölkerung. Frühere Bemühungen seitens der Behörden, den Tulku anzuklagen waren gescheitert.

Mit nur noch einem Jahr, bis das Todesurteil vollstreckt wird, ist das TCHRD ernstlich um das Schicksal von Tulku Tenzin Delek besorgt. Es fordert die Regierung in Peking zu seiner bedingungslosen Freilassung auf und appelliert an alle Unterstützer und Menschenrechtsgruppen, Druck auf Peking auszuüben, um die baldige Freilassung des Rinpoche zu erwirken.