Human Rights Update
September 2003
Inhalt
  1. Klosterschule von Ngaba Kirti geschlossen und ihr Sponsor verschwunden
  2. Portrait eines politischen Gefangenen: Sieben Jahre Haft wegen Flugblättern
  3. Eine junge Tibeterin starb auf dem Weg ins Exil
  4. Tibetischer Bettler wegen Singens eines patriotischen Liedes festgenommen
  5. Gewissensgefangener erlag kurz nach der Entlassung den Folgen der brutalen Mißhandlungen
  6. Mönch wegen Dalai Lama Portrait verurteilt
  7. Lobsang Tenphen seit Februar verschwunden
  8. Sonderbeauftragte für Bildung kritisiert China
Teil 1

Klosterschule von Ngaba Kirti geschlossen und ihr Sponsor verschwunden

Laut einer bestätigten Nachricht aus Tibet schlossen die chinesischen Behörden am 29. Juli 2003 die Klosterschule Kirti (tib. kirti nangten lobling), während Soepa Nagur, ihr Schirmherr, seit dem 31. Juli verschwunden ist.

Die Schüler im Alter von 7 - 20 Jahren sind bekümmert, weil sie nicht wissen, wie sie ihre schulische Ausbildung fortsetzen sollen. Viele sind nach Hause zurückgekehrt, während andere in das Kloster eingetreten sind, um dort das Studium der buddhistischen Philosophie aufzunehmen.

Offizielle Schliessung der Schule und Verschwinden ihres Hauptförderers

Gemäß der dem TCHRD zugegangenen Informationen wurde die Klosterschule Ngaba Kirti bereits im März 2002 kurzzeitig geschlossen, aber auf die wiederholten Bitten der Bevölkerung hin später wieder geöffnet. Diese Schule, die den lokalen chinesischen Behörden seit 1998 ein Dorn im Auge ist, wurde nun am 29. Juli offiziell geschlossen.

Als die Schule am 29. Juli die Schüler in die Ferien schickte, kamen Behördenvertreter dorthin, holten die chinesische Nationalflagge herab, die im Schulhof wehte, und erklärten die Schule offiziell für geschlossen. Da der Unterricht eigentlich am 20. August wieder beginnen sollte, erklärten sie den Schülern, sie sollten, falls sie weiterlernen wollten, von nun an die Bontse Schule (eine staatliche Gemeinschaftsschule in dem Landkreis) besuchen, und verboten ihnen, in ihre bisherige Schule zurückzukehren.

Am 31. Juli 2003 wurde Soepa Nagur, der Hauptförderer der Schule, nach Chengdu, Provinz Sichuan beordert, um dort die Schule betreffende Fragen zu besprechen. Von dort ist er aber nicht mehr zurückgekehrt. Man weiß nichts über seinen Verbleib, und die anderen Sponsoren sind um seine Sicherheit besorgt. Soepa Nagur ist ein großzügiger Geschäftsmann, der einen Teil seines geschäftlichen Gewinns für den Bau von Klöstern, für die Erhaltung der tibetischen Kultur und für Bildungsinfrastruktur ausgab. 1996 reiste er nach Indien, wo er an den Kalachakra-Belehrungen teilnahm. Damals hatte er auch eine Audienz beim Dalai Lama und traf den in Indien lebenden Kirti Rinpoche.

Hintergrundinformation über die Ngaba Kirti Klosterschule

Diese im Distrikt Ngaba (chin. Aba xian), Präfektur Ngaba, Sichuan, gelegene Schule wurde 1994 dank der großzügigen Spenden von Soepa Nagur eingerichtet. Anfänglich beherbergte sie über 300 Novizen, die von über 20 Lehrern unterrichtet wurden. Fast alle Schüler kamen aus armen ländlichen Gegenden, wo es keine Bildungseinrichtungen gibt. Diese Schule war ein Segen für die armen Bauern und Nomaden, die von ihren täglichen Einkünften gerade überleben können und für die Bildung ihrer Kinder nichts mehr erübrigen können. Die Einrichtung wurde immer populärer und Ende 1998 zählte sie an die 800 Schüler.

Die Schule wurde von dem Ngaba Kirti Kloster verwaltet, und die täglichen Geschäfte wurden von vier Tibetern (dem Rektor Choephel, dem stellv. Rektor Gedun Tenzin, dem ersten Zuchtmeister Tulku Jigme und dem zweiten Zuchtmeister Dakpa Jinpa) geführt. Der Lehrplan beinhaltete die Grundlagen der buddhistischen Philosophie und Dialektik, Geschichte, Astrologie, Grammatik, Poesie, Weisheitslehre, Gebete und tibetische Kalligraphie. Auch wurde eine Zeitschrift mit Titel "Choedhung", sowie ein Newsletter herausgeben. Gelehrte verschiedener Disziplinen pflegten als Gastlehrer zu kommen, um den Schülern eine breit gefächerte Bildung zu vermitteln. Schreibwettbewerbe, deren Gewinner in die Schule aufgenommen wurden, wie auch andere Aktivitäten wurden innerhalb des Verwaltungsbezirks organisiert.

Einmischung der Behörden in die schulischen Angelegenheiten

1998 machten die chinesischen Behörden erstmals ihrem Ärger über die Schule Luft und verlangten, daß in der Schule auch die chinesische Sprache und sozialistische Theorie gelehrt werden müssen. Sie legten ihr nahe, sich mit der Bontse Schule zusammenzuschließen und dem staatlichen Lehrplan zu folgen. Die Verwalter der Klosterschule Kirti widersetzten sich den Auflagen der Behörden, weil die Schule nur für Novizen sei und die Miteinbeziehung von Laienschülern die mönchische Lebensweise der Schüler beeinträchtigen würde. Einige der älteren Novizen sagten, sie würden die Schule verlassen, sollte sie mit einer anderen zusammengelegt werden.

Am 28. August 1998 gliederten die Behörden das Ngaba Kirti Kloster aus und übernahmen die Verwaltung der Schule, die sie in "Chathang Nubsang" Schule umbenannten. Die Übernahme wurde von Feierlichkeiten begleitet, bei denen hochrangige Behördenvertreter anwesend waren und die Schüler gezwungen wurden, die chinesische Nationalflagge zu hissen und die chinesische Nationalhymne zu singen. Der Unterricht der bisherigen Lehrer wurde eingeschränkt, vier chinesische Lehrer eingestellt und der Lehrplan neu gefaßt, so daß Chinesisch das Hauptfach geworden ist. Darüber hinaus wurde den Mönchs-Schülern im Oktober 2001 befohlen, statt ihrer Mönchsroben normale chinesische Schuluniformen zu tragen. Schüler, welche den bisherigen Namen der Schule auf ihre Hefte schrieben, wurden bestraft und die Artikel in dem Schulmagazin und dem Newsletter streng zensiert. Viele Schüler, die sich diesem Reglement nicht fügen konnten, gingen von der Schule.

Als sie 2002 schließlich mit der Bontse Schule fusioniert werden sollte, war keiner der Schüler bereit, dorthin zu gehen. Sie wurde daher aufgelöst, und besorgte Eltern und andere Leute aus der Gegend hielten eine Versammlung ab, bei der sie ihre Bedenken zum Ausdruck brachten. Durch einen Mittelsmann unterbreiteten sie diese der Regierung, wonach die Schule für eine kurze Zeit zur Normalität zurückkehren konnte. Als die Lage sich aber nicht besserte, zogen die Eltern ihre Kinder mit dem Kommentar, "ungebildet zu bleiben sei besser, als sinisiert zu werden", zurück.

Fazit: Die Washington Post berichtete am 19. September, die UN Sonderberichterstatterin für Erziehung, Catarina Tomasevski, habe die Bildungspolitik der Chinesen schwer kritisiert. Als sie nach zwei Wochen von Treffen und Interviews in Peking zu Reportern sprach, beanstandete sie, daß die Regierung die religiös ausgerichteten Schulen völlig verbiete und prangerte das System der willkürlichen Schulgebühren an, weshalb viele Familien sich in Schulden stürzen müßten.

Monastische Schulen waren in Tibet bisher das Rückgrat des Bildungssystems. Solche Schulen deckten immer das Bildungsbedürfnis der breiten Masse, welche das von der Regierung geforderte exorbitante Schulgeld nicht zahlen konnte. Die chinesische Regierung geht nun besonders gegen die monastischen Schulen vor, weil sie diese verdächtigt, "spalterische" Ideen zu lehren, wo ihr Lehrplan doch in Wirklichkeit auf tibetischer Kultur und buddhistischer Philosophie basiert. Die monastische Schule Ngaba Kirti ist die letzte dieser Reihe, die geschlossen wurde.

Das TCHRD macht sich große Sorge um das Schicksal der Schüler und den Verbleib und das Wohlergehen ihres Sponsors Soepa Nagur. Es appelliert an die chinesische Regierung, Auskunft über den Aufenthaltsort und das Befinden von Soepa Nagur zu geben und die Schule wieder zu öffnen, damit die auf dem traditionellen Lehrplan basierenden Studien weiter an ihr betrieben werden können.

Teil 2

Portrait eines politischen Gefangenen: Sieben Jahre Haft wegen Flugblättern

Trakru Yeshi (48) wurde in der Gemeinde Yoknak, Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR, geboren. Er kommt aus einer Nomadenfamilie von fünf Personen und ist der Mittlere unter seinen Geschwistern. In frühen Jahren hütete er die Herde seiner Familie.

Obwohl er in der Kindheit nur wenig an Bildung genossen hat, fand er bei dem lokalen Wasserkraftwerk einen Gehilfenjob, den er 4-5 Jahre lang versah. Nach Absolvierung seines Trainings wurde er 1990 bei dem Kraftwerk des Distrikts Sog angestellt. Er verlegte Leitungen und behob kleinere elektrische Störungen in dem Landkreis.

Im Juli 1999 faßten Trakru Yeshi und einige seiner Freunde den Entschluß, gegen die chinesische Besatzungsmacht zu protestieren. Irgendwie beschafften sie sich einen hölzernen Druckstock mit Unabhängigkeits-Parolen wie "Free Tibet", "Lange lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama", "China raus aus Tibet", "Tibet gehört den Tibetern". Mit Hilfe dieses Druckstockes stellten sie Tausende von Flugblättern her und verstreuten sie überall auf den Straßen und Märkten des Kreises. Diese Blätter waren ziemlich zahlreich, und das PSB vom Distrikt Sog berichtete den Vorfall an höhere Stellen.

Nun kamen Beamte des Präfektur-PSB und des Geheimdienstes von Lhasa (chin. Ang jang jue) in den Distrikt Sog, um der Sache nachzugehen. Yeshi Tenzin und Gyurmey, zwei Komplizen von Trakru Yeshi bei der Flugblätter-Aktion, waren die ersten, die von der Polizei gefaßt wurden. Die beiden wurden so schwer geprügelt und gefoltert, daß sie nicht anders konnten, als die Namen ihrer Gefährten preiszugeben. In der Folge wurden alle an der Sache Beteiligten an unterschiedlichen Tagen und Orten festgenommen. Insgesamt waren es acht, der älteste unter ihnen ein 83-jähriger alter Mann.

Trakru Yeshi wurde anscheinend tagsüber von den PSB-Kräften von Sog festgenommen. Seine Kollegen bei der Arbeit erhielten strenge Anweisung, niemandem etwas von seiner Verhaftung zu erzählen. Die Polizei entdeckte die Druckstöcke im Haus eines weiteren Komplizen. Etliche Bewohner von Sog wurden ebenfalls festgenommen und intensiv verhört.

Im Dezember verurteilte das Mittlere Volksgericht der Präfektur Nagchu sechs der Festgenommenen unter der Anklage der "Absprache mit der Dalai Clique" und der "Gefährdung der Staatssicherheit" zu verschieden langen Haftstrafen von sieben Jahren bis lebenslang. Als Indizien für die gegen sie erhobenen Anklagen präsentierte das Gericht Unabhängigkeitsposters, einen hölzernen Druckstock und Tonkassetten mit Reden des Dalai Lama.

Trakru Yeshi wurde zu 7 Jahren verurteilt, Sey Khedup (30), der wegen seiner Fähigkeiten als Zimmermann unter Verdacht stand, bei der Herstellung der Druckstöcke geholfen zu haben, zu lebenslänglich und Tsering Lhagon (44), der im Besitz der Druckblöcke war, zu 15 Jahren. Nachdem das Gericht das Urteil gefällt hatte, wurde Trakru Yeshi zur Verbüßung seiner Strafe ins Drapchi Gefängnis überführt, wo er immer noch eingesperrt ist.

Teil 3

Eine junge Tibeterin starb auf dem Weg ins Exil

Die 17-jährige Diki Tsomo kam auf tragische Weise ums Leben, als sie auf der gefährlichen Flucht über die Berge in eine Gletscherspalte fiel. Ihr Begleiter, der 19-jährige Chunglak, berichtete, nachdem er Kathmandu erreicht hatte, dem TCHRD:

"Unsere Gruppe bestand aus sieben Personen. Zwei davon waren Männer, der Rest Mädchen, das jüngste 14 Jahre als. Wir fuhren per Fahrzeug bis zum Kreis Dingri und gingen von dort zu Fuß weiter. Auf der anderen Seite der Grenze in Solukhumbu kamen wir vom Weg ab. Es war bitterkalt und wir konnten in der Dunkelheit nichts sehen. Eine ganze Nacht lang liefen wir auf und ab auf der Suche nach dem richtigen Weg, aber ohne Erfolg.

In der Morgendämmerung des 17. Septembers gingen die zwei Männer, um nach der Richtung zu suchen. Sie konnten den Pfad zwar finden, kamen aber eilends zurück und sagten, eine chinesische Grenzpatrouille sei uns auf der Spur. Wir starten sofort und bildeten eine Kette, indem wir uns an den Händen hielten. Plötzlich fiel Diki in eine Gletscherspalte. Wegen des Schnees hatte keiner von uns sie bemerkt.

Diki rief um Hilfe. Wir konnten sie nicht sehen, wir hörten nur das Gletscherwasser am Grund der Spalte rauschen. Einer der Männer hatte ein Seil bei sich, das wir durch Anbinden unserer Gürtel verlängerten. Aber unglücklicherweise riß das Seil, als wir sie halb hochgezogen hatten. Wir machten einen weiteren Versuch, indem wir die Riemen unserer Rucksäcke zusammenbanden, aber wir konnten Diki nicht mehr herausziehen. Sie sagte, wir sollten sie zurücklassen und weitergehen. Sie dachte wohl, daß wir von der Grenzpolizei gefaßt werden könnten. Wir verließen sie aber nicht und versuchten noch einmal sie heraufzuziehen, indem wir die Ärmel unserer Hemden und Pullover zusammenbanden. Als wir dann ihren Namen riefen, antwortete sie nicht mehr. Wahrscheinlich war sie inzwischen erfroren."

Diki Tsomo war eine Schülerin der Regierungs-Schule No. 8 der Stadt Lhasa. Ihre Eltern, die ursprünglich aus dem Kreis Gonjo, Provinz Sichuan, stammen, konnten von ihren mageren Einkünften die hohen Schulgebühren nicht mehr bezahlen. Diki bot an, nach Indien zu gehen, um ihre Schulbildung dort fortzusetzen.

Jedes Jahr treffen Tausende von Flüchtlingen in Indien ein, von denen über die Hälfte Minderjährige unter 18 Jahren sind. 2002 verzeichnete das TCHRD 1.378 Flüchtlinge, die das Tibetan Refugee Reception Centre in Dharamsala erreichten, 715 davon waren Jugendliche unter 18 Jahren.

Teil 4

Tibetischer Bettler wegen Singens eines patriotischen Liedes festgenommen

Einer zuverlässigen Information aus Tibet zufolge wurde ein tibetischer Bettler Ende 2001 in Lhasa festgenommen, weil er ein Lied mit nationalistischem Unterton gesungen hatte.

Der 48-jährige Phumlak gab sein Lied in einem Wohnviertel in der Nähe des Hotels Gamchung zum besten. Die Worte des Liedes "Lhasa ist nicht verkauft worden, Indien ist nicht gekauft worden, es stimmt nicht, daß Gyalwa Tenzin Gyatso (der Dalai Lama) hier keine Wohnstätte mehr hat" wurden von den Beamten des Public Security Bureau als politisch interpretiert. Sie verhafteten ihn auf der Stelle und schlugen ihn heftig. Phumlak wurde willkürlich zu drei Jahren in einem Lager zur "Reform-durch-Umerziehung" verurteilt. Derartige Strafanstalten entsprechen nicht den internationalen Rechtsnormen. Die Staatspolizei in Tibet ist autorisiert, Personen aufgrund willkürlicher Anklagen beliebig zu bestrafen. Die Übeltäter erhalten nur einen Bescheid über ihre Strafe, aber kein offizielles Dokument mit den Anklagen gegen sie, was einen Verstoß gegen das internationale Recht darstellt.

Phumlak, der an einem Bein behindert ist, muß alleine für seine fünfköpfige Familie sorgen, die von dem lebt, was er durch Betteln zusammenbringt. Er ist einer der vielen tibetischen Bettler, die mit einer dranyen (tibetische Gitarre) durch die Straßen von Lhasa ziehen und Lieder singen.

Er kam in die Haftanstalt Trisam, wo er immer wieder ohnmächtig wurde und sich sonderlich benahm. Da er der einzige Brotverdiener in seiner Familie war, macht er sich nun große Sorgen um sie. Er befindet sich derzeit in der Anstalt zur "Reform-durch-Umerziehung" Trisam im Kreis Toelung Dechen südlich von Lhasa.

Teil 5

Gewissensgefangener erlag kurz nach der Entlassung den Folgen der brutalen Mißhandlungen

Aus zuverlässiger Quelle erfuhr das TCHRD vom Tod des 29-jährigen Nyima Drakpa, der am 1. Oktober zu Hause an den Folgen der erlittenen schweren Folterungen starb. Nyima Drakpa, der eine Strafe von 9 Jahren zu verbüßen hatte, wurde Anfang September aus medizinischen Gründen freigelassen. Zu diesem Zeitpunkt soll er sich bereits in einem kritischen gesundheitlichen Zustand befunden haben. Drakpa wurde im Mai 2000 verhaftet und danach unter Anklage der "Gefährdung der Staatssicherheit" und der "Aufwiegelung der Volksmassen" zu neun Jahren Haft verurteilt.

Ende 1999 hatte Drakpa Unabhängigkeitsposter an die Tore eines Gedächtnisgartens im Kreis Tawu, TAP Kardze, Sichuan, geklebt. Darauf standen Parolen wie "Free Tibet", "Die Tibeter haben in Tibet keine Freiheit", "Tibet ist kein Teil Chinas", und unterschrieben war das Plakat mit seinem eigenen Namen. Beamte des Distrikt-Sicherheitsbüros (PSB) nahmen sofort die Fahndung nach dem Täter auf, sie nahmen jedoch zuerst eine andere Person mit selbem Namen aus dem Kloster Nyitso, dem Heimatkloster Dakpas, fest.

Dakpa begab sich auf die Flucht, während der Mann im Polizeigewahrsam nach zwei Wochen freigelassen wurde, als die Beamten ihren Fehler einsahen. Fahnder der Distriktpolizei von Tawu nahmen Drakpa schließlich im Mai 2000 in einem Dorf bei Lhasa fest, nachdem ihnen zugetragen worden war, daß er sich dort verstecke. In dem PSB Haftzentrum von Tawu wurde er schwer mißhandelt, um von ihm ein Geständnis der ihm angelasteten Verbrechen zu erpressen. Seinen Angehörigen wurde das Besuchsrecht verweigert. Der Polizeichef Yeshi erhielt als Belohnung für seine "beispielhafte Tat" einen Geländewagen. In der Nähe des Klosters Tawu wurde ein Sicherheitsposten eingerichtet, der Yeshi unterstand und mit 15 PSB-Milizionären besetzt wurde.

Am 5. Oktober 2000 verurteilte das Distriktgericht Drakpa in einem nichtöffentlichen Prozeß zu 9 Jahren Gefängnis. Die Anklage lautete auf Gefährdung der Staatssicherheit und Volksverhetzung. Erst im Dezember des Jahres konnten seine Angehörigen ihm Nahrungsmittel in die Haftanstalt schicken, obwohl sie ihn immer noch nicht besuchen durften. Üblicherweise werden Häftlinge nach der Verurteilung in ein reguläres Gefängnis verlegt, doch Drakpa wurde weiterhin in dem Polizei-Haftzentrum von Distrikt Tawu festgehalten. Berichte drangen nach außen, daß seine beiden Beine und Arme gebrochen waren. Er konnte nicht mehr alleine stehen und mußte von Mitgefangenen gestützt werden, um zur Toilette zu gehen.

Nyima Drakpa stammt aus dem Kreis Tawu, TAP Kardze, Provinz Sichuan; er war ein Mönch des dortigen Klosters Tawu Nyitso. Drei Jahre lang besuchte er die Grundschule und ein weiteres Jahr die Distrikt-Mittelschule. Bis zu seinem Eintritt in das Tawu Nyitso Kloster 1989 ging er der Landwirtschaft nach. 1990 floh er nach Indien und weilte drei Jahre lang in einem Kloster in Südindien (Gaden). 1994 kehrte er in sein Heimatkloster nach Tibet zurück, wo er blieb, bis er sich wegen der drohenden Festnahme infolge seiner Plakatier-Tätigkeit nach Lhasa absetzte.

Teil 6

Mönch wegen Dalai Lama Portrait verurteilt

Yeshi Tsultrim, ein Mönch des Klosters Ra-Med im Kreis Gongkar, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er ein Bild des Dalai Lama im Kloster aufgestellt hatte.

Während des tibetischen Neu-Jahr-Festes (13. Februar 2002 nach dem westlichen Kalender) stellte Yeshi eine Woche lang ein Portrait des Dalai Lama auf einem Thron im Kloster zur Schau. Kaum hatten die Behörden von dem Vorfall erfahren, begannen sie die Mönche zu vernehmen, um den "Schuldigen" ausfindig zu machen und seine Tat als reaktionären Aktivismus zu brandmarken. Schließlich wurde Yeshi Tsultrim verhaftet und zu zweieinhalb Jahren im Gefängnis Trisam des Kreises Toelung Dechen verurteilt.

Yeshi Tsultrim ist im Kreis Gongkar heimisch und bis zu seiner Festnahme war er der Verwalter des Klosters. Obwohl die chinesische Regierung immer wieder beteuert, in Tibet herrsche Religionsfreiheit, ist in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall. Der bloße Besitz eines Bildes des Dalai Lama kann eine lange Haftstrafe zur Folge haben. Das Dritte Arbeitsforum zu Tibet, das 1994 stattfand, gab den Auftakt zu einer Anti-Dalai-Lama-Kampagne, die seit 1996 von der chinesischen Regierung mit voller Wucht durchgeführt wird.

Regierungsvertreter lassen keine Gelegenheit ungenutzt, um über den Dalai Lama herzuziehen. Die Kampagne führte zur Festnahme zahlloser Tibeter - sowohl Mönchen als auch Laien – wegen Besitzes eines Photos des Dalai Lama. Anzumerken wäre noch, daß sie in entlegenen ländlichen Gegenden und bei Nomaden, die ständig auf Wanderschaft und daher schwerer zu überwachen sind, weniger streng gehandhabt wird.

Teil 7

Lobsang Tenphen seit Februar verschwunden

Obwohl einige im Zusammenhang mit dem Fall Trulku Tenzin Delek verhaftete Personen inzwischen freigekommen sind, fehlt von dem 38-jährigen Lobsang Tenphen, der am 12. Februar 2003 festgenommen wurde, jede Spur. Tenphens Angehörige sind in großer Unruhe, weil die Behörden sich hartnäckig weigern, Auskunft über seinen Verbleib und Gesundheitszustand zu geben.

Tenphen ist einer der dreizehn uns bekannten Tibeter, die im Umfeld zu Tulku Tenzin Delek verhaftet wurden. Man nimmt an, daß er unter dem Verdacht steht, der Außerwelt Informationen über den Tulku und Lobsang Dhondup geliefert zu haben.

Der ursprünglich aus der Gemeinde Lithang Zampa stammende Tenphen ist mit Tulku Tenzin Deleks Nichte verheiratet. Am 12. Februar 2003 kamen sechs Polizeioffizieren in seine Wohnung und nahmen in fest. Seine Frau und sein Vater erhoben heftigen Einspruch und fragten nach den Gründen für die Festnahme. Die Offiziere versicherten der Familie, daß sie Tenphen "nur einige Fragen zu stellen hätten und ihm nichts passieren würde". Außerdem würde er ja "sehr bald zurückkommen". Tenphen ist jedoch nicht nach Hause zurückgekehrt, seitdem die Polizei ihn zur Vernehmung abgeführt hat, und es wird befürchtet, daß er - wenn überhaupt - nicht so bald freigelassen wird. Seit seiner Festnahme hat ihn von seinen Angehörigen keiner gesehen, und über seinen Aufenthaltsort herrscht völlige Unklarheit.

Auf Tenphels Verhaftung hin versuchten seine Angehörigen, das Sicherheits-Department (chin. An-Tsan-tsue) des Distrikts Lithang und verschiedene andere zuständige Stellen zu kontaktieren, um sich nach seiner Gesundheit und seinem Verbleib zu erkundigen, doch ohne Erfolg.

Die meisten Leute in der Gegend vermuten, daß Tenphel in das Yak-ra-pukh Gefängnis im Distrikt Dartsedo gebracht worden sein könnte, weil andere im Falle Tulku Tenzin Delek Verhafteten aus diesem Gefängnis entlassen wurden. Die Familie macht sie große Sorgen um Tenphel. Manche fragen sich, ob er überhaupt noch am Leben ist, denn es ist durchaus möglich, daß er den schweren Prügeln und Folterungen, wie sie in den Haftzentren und Gefängnissen Tibets routinemäßig verabreicht werden, erlegen ist. Die konstante Weigerung der Behörden, irgendeine Auskunft über ihn zu geben, steigert ihre Sorgen nur noch mehr.

Hintergrund: Lobsang Tenphen wurde 1965 geboren. Von klein auf half er seiner Familie bei der Bestellung der Felder. Eine Schule hat er nie besucht. Mit 19 Jahren begann er ein Kleingeschäft, er handelte mit Yartsa Gumbhu (einer Medizinpflanze mit botanischem Namen cordyceps sinensis) im Sommer und mit Yak-Fellen im Winter. Mit 25 heiratete er Sonam Dolma, die Nichte von Tulku Tenzin Delek, und zog zur Familie seiner Frau, die neun Mitglieder zählt.

1995, als sein Bruder Dhak Lobang verhaftet und wegen angeblicher Verteilung von Flugblättern und Anklebens von Unabhängigkeits-Losungen ins Gefängnis geworfen wurde, hatte Tenphen eine heftige verbale Auseinandersetzung mit dem PSB. Er suchte seinen Bruder zu verteidigen und sagte, dieser habe nichts mit der Sache zu tun gehabt. Wutentbrannt spuckte er außerhalb des Tores des Haftzentrums in Gegenwart der Behördenvertreter auf den Boden. Diese verwarnten daraufhin seine Familie, besser auf ihn aufzupassen, denn anderenfalls würden sie es übernehmen und sich "um ihn kümmern".

Berichtigung: Der Name Lobsang Tenphen wurde, als die Nachricht über sein Verschwinden zuerst auftauchte, fälschlicherweise als Taphel angebeben (siehe: TCHRD, 13. März 2003).

Teil 8

Sonderbeauftragte für Bildung kritisiert China

Wie die Washington Post am 18. September berichtete, übte die Sonderberichterstatterin der UNO für Erziehung, Catarina Tomasevski, harte Kritik an Chinas Bildungspolitik. Sie sprach nach ihrer Rückkehr von einer zweiwöchigen Reise nach Peking zu einer Gruppe von Reportern und verurteilte dabei entschieden das staatliche Verbot der religiösen Erziehung, sowie das System der willkürlichen Schulgebühren, das viele Familien in die Verschuldung treibt.

Die Argumentation der chinesischen Regierung, durch Anhebung des Lebensstandards und Verbesserung des Zugangs zu Bildung und Gesundheitsfürsorge der Bevölkerung großen Nutzen zu bringen, wies die Sonderbeauftragte zurück. Tomasevski sagte, China verfehle nach wie vor, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Die Regierung behauptet, über 90% der Schüler würden mindestens 9 Schuljahre durchlaufen, und die Analphabetenrate bei der jungen und mittleren Altersgruppe sei auf 5% gesunken. Die Sonderberichterstatterin betonte, die von chinesischen Schulen erhobenen legalen und illegalen Gebühren stellten für viele Kinder eine "unvernünftige finanzielle Hürde" dar.

Tomasevski führte aus, daß sogar ein armes Land wie Uganda mehr als China leiste, um seiner Bevölkerung das Recht auf Bildung zu gewährleisten. China gibt nur zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für das Bildungswesen aus, während die Empfehlung der Vereinten Nationen auf ein Minimum von 6 Prozent lautet.

Catarina Tomasevski ist die erste Menschenrechtsexpertin, die seit fast einem Jahrzehnt China einen Besuch abgestattet hat. China erlaubt unabhängigen Menschenrechts-Beobachtern wie der Organisation Human Rights Watch aus den USA oder Amnesty International aus London nicht das Land zu besuchen. Viele Staaten fordern, daß China regelmäßige Besuche von UN-Vertretern gestattet, um weitere Untersuchungen anzustellen, besonders was brisante Themen wie Mißhandlung in Haftanstalten und Unterdrückung der Religion betrifft. China ratifizierte das Übereinkommen über die Rechte des Kindes der UNO (Child Rights Convention) am 2. März 1992.