Human Rights Update

Februar 2002

Inhalt
  1. Chadrel Rinpoche entlassen: eine weitere pro-forma Geste
  2. Das TCHRD zollt zwei einstigen Gewissensgefangenen seine Hochachtung:
    a) Ani Pachen
    b) Yulo Dawa Tsering
  3. Tibetischen Studenten wird Universitätsstudium verweigert
  4. Polizist wegen eines Parolen-Zwischenfalls festgenommen
  5. Erdrückende Steuerlast
  6. Zwangsausweisung aus angestammtem Grundbesitz
  7. "Patriotische Umerziehung" in Kanchuen Denchen Choeling
  8. Portrait: Dreimal politischer Gründe wegen verhaftet
Teil 1

Chadrel Rinpoche entlassen: eine weitere pro-forma Geste

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie erhielt zuverlässige Information, daß Chadrel Rinpoche, der 62-jährige ehemalige Abt von Kloster Tashi Lhunpo und Leiter der Suchkommission nach der Reinkarnation des 10. Panchen Lama, aus dem Chuandong Gefängnis No. 3 entlassen wurde. Er steht jedoch weiterhin unter Hausarrest in Shigatse. Derzeit gibt es keine Nachricht über seinen genauen Aufenthaltsort in Shigatse oder seinen Gesundheitszustand.

Chadrel Rinpoche hätte im Mai 2001 entlassen werden sollen, als seine 6-jährige Haftstrafe wegen "Verschwörung zur Spaltung des Landes" und "Weitergabe von Staatsgeheimnissen" zu Ende gegangen war. Seit Mai 1995 sorgten sich widersprechende offizielle Aussagen dafür, daß seine genaue Haftfrist von einem Geheimnis umgeben war.

Am 14. Mai 1995 verkündete der Dalai Lama den damals 6-jährigen Gedhun Choekyi Nyima als die Wiedergeburt des 10. Panchen Lama, und am 17. Mai 1995 verschwand Chadrel Rinpoche.

Drei Monate nach seinem Verschwinden sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, er befinde sich in staatlichem Gewahrsam, und fügte hinzu, er sei "krank und im Hospital". Erst im Mai 1997 erfolgte die erste offizielle Bestätigung von Chadrel Rinpoches Festnahme, als Xinhua, die staatliche Nachrichtenagentur, am 21. April 1997 berichtete, das Mittlere Volksgericht von Shigatse habe Chadrel Rinpoche zu 6 Jahren Haft vom 5. Mai 1997 an verurteilt. Dieses Urteil setzt sich über das revidierte Strafverfahrensgesetz Chinas hinweg, das festlegt, daß die Gesamtzeit der Festhaltung vom Tag der Verhaftung an auf das Hafturteil anzurechnen ist. In Chadrel Rinpoches Fall wurde diese Regelung eindeutig verletzt. Um noch mehr Verwirrung in die Sache zu bringen, wurde dem "UK Foreign and Commonwealth Office" im Februar 2001 mitgeteilt, Chadrel Rinpoches Prozeß habe 1996 stattgefunden. Er hätte daher im Mai 2001 entlassen werden müssen.

"Diese Entlassung ist eine weitere Augenwischerei der chinesischen Regierung, und seltsamerweise fällt sie mit dem Besuch von Präsident Bush zusammen. Tatsache bleibt, daß Chadrel Rinpoche nun unter Hausarrest gestellt wurde, was nur eine nur eine erweiterte Form der Inhaftierung ist, und das gibt Grund zu ernster Sorge", meinte Youdon Aukatsang, Programm-Koordinatorin des TCHRD.

Vor seiner Festnahme war Chadrel Rinpoche der Leiter des Zivilen Administrativgremiums und Vorsitzender des Demokratischen Verwaltungsrates von Kloster Tashi Lhunpo. Er war auch Mitglied der politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (CPPCC) auf nationaler Ebene und zweiter Vorsitzender der CPPCC der Autonomen Region Tibet (TAR).

Im Mai 1996 war Chadrel Rinpoche all seiner Ämter entkleidet worden, weil er "gegen die Grundprinzipien verstoßen und den politischen Stand eines Patrioten verloren" hatte. Am 24. Mai 1996 verkündete Radio Lhasa, "durch dieses Vorgehen sei die CPPCC von schlechten Elementen gesäubert und nun wieder rein geworden".

Um September 1997 sickerten erste Berichte über Chadrel Rinpoches Festhalteorte aus Tibet. Chadrel Rinpoche, der zuvor im Distrikt Trochu (chin. Heishui) inhaftiert war, wurde später in das Chuandong Gefängnis No. 3, in Distrikt Tazhu, Provinz Sichuan, verlegt, in dem sonst hochbrisante politische Dissidenten eingesperrt sind. Es heißt, er sei in einen Hochsicherheitstrakt gekommen, der irgendwann Ende April oder Anfang Mai nach der Urteilsverkündung als "Gefängnis im Gefängnis" bezeichnet wurde.

Teil 2 a)

Das TCHRD zollt zwei einstigen Gewissensgefangenen seine Hochachtung

Glaube alleine erhielt mich aufrecht! - Ein Nachruf auf Ani Pachen

Ani Pachen starb am 2. Februar 2002 im Alter von 69 Jahren an Herzversagen, nachdem sie schon lange herzleidend gewesen war. Allen war sie wohl bekannt durch ihr mitreißendes Lächeln, ein Lächeln, das leicht über die unzähligen Qualen, die sie in dem chinesisch besetzten Tibet erlitt, hinwegtäuschen könnte. Ani Pachen war 21 Jahre lang in chinesisch verwalteten Gefängnissen in Tibet eingesperrt, ehe sie im Januar 1981 entlassen wurde. Sie überlebte vielerlei Mißhandlungen in der Gefangenschaft, wozu auch Einzelhaft, Aussetzen an extreme Temperaturen, Hungern, Schläge und andere psychische und physische Traumata gehörten.

Ani Pachen wurde in Gonjo in Kham (Osttibet) geboren und war das einzige Kind des Häuptlings der Lemdha Sippe. Als sie in eine andere Häuptlingsfamilie verheiratet werden sollte, entging sie diesem Lebensweg, indem sie Nonne wurde. Nachdem chinesische Soldaten Gonjo niederwarfen und ihr Vater 1958 starb, stellte Ani Pachen ihre religiösen Pflichten zurück, um den Widerstand gegen die chinesische Besatzungsmacht anzuführen. Zuletzt wurde auch sie gefangen genommen.

Ende der 80er Jahre, als Tibet ein Wiedererstarken des politischen Protestes erlebte, beteiligte sich Ani Pachen mit Eifer an den Demonstrationen in Lhasa. Wegen drohender Wiederverhaftung sah sie sich 1988 gezwungen, ins Exil nach Indien zu fliehen. Sie ließ sich in Dharamsala nieder und engagierte sich weiterhin aktiv für die tibetische Sache. Sie bereiste viele Länder und wurde zu einer bekannten Persönlichkeit. Ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte wurde durch das Buch "Sorrow Mountain: The Journey of a Tibetan Warrior Nun" 2000 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Teil 2b

Nachruf auf Yulo Dawa Tsering

Yulo Dawa Tsering, ein ehemaliger politischer Gefangener, der insgesamt 27 Jahre in Gefangenschaft verbrachte, weil er Religionsfreiheit für Tibet gefordert hatte, verschied am 16. Januar 2002 in seinem Heim in Lhasa. Yulo Dawa Tsering wurde 1930 in der Gemeine Gushi, Kreis Taktse, Bezirk Lhasa, geboren. In jungen Jahren wurde er als die Wiedergeburt von Choney Yulo Rinpoche erkannt und daraufhin im Kloster Gaden, einem der größten Tibets, zum Mönch ordiniert. 1950 erwarb Yulo Dawa Tsering den angesehenen Titel eines Geshe ("Doktor der Theologie"). Später studierte er in dem Tantric College Gyutoe tantrischen Buddhismus.

1959 wurde Tulku Dawa Tsering während des Volksaufstandes von Lhasa verhaftet und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er wurde zur Zwangsarbeit in das Drapchi Gefängnis verlegt. 1979 wurde er jedoch entlassen. Nach seiner Entlassung lehrte Tulku Dawa Tsering bis 1982 buddhistische Philosophie an der Universität Lhasa. Im selben Jahr wurde er zum Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes ernannt. Er war auch Mitglied der Buddhistischen Vereinigung von Lhasa.

Um Mitternacht des 26. Dezember 1987 wurde er zusammen mit seinem Freund, dem ehrw. Thupten Tsering, einem Mönch des Klosters Sera, verhaftet. Die beiden hatten einem italienischen Touristen, Dr. Stefano Dallari, ein Video Interview gewährt. Radio Lhasa verkündete am März 1988: "Am Nachmittag des 26. Juli 1987 verbreiteten zwei Mönche, Yulu Dawa Tsering und Thupten Tsering, vor reaktionären ausländischen Elementen, die als Touristen nach Tibet gekommen waren, reaktionäre Ansichten. Die zwei Mönche verleumdeten in bösartiger Weise die von der chinesisch kommunistischen Partei und der Volksregierung verfolgte Politik."

Beide Mönche wurden unter § 102(2) des chinesischen Strafgesetzes der Verbreitung "konterrevolutionärer Propaganda" angeklagt. Nach ihrer Festnahme am 26. Dezember 1987 wurden sie zuerst ein Jahr lang in dem Seitru Haftzentrum eingesperrt. Am 19. Januar 1989 verurteilte das Mittlere Volksgericht von Lhasa Yulu Dawa Tsering zu 10 Jahren und den ehrw. Thupten Tsering zu 6 Jahren, wonach beide in das Drapchi Gefängnis verlegt wurden.

Yulu Dawa Tsering wurde schließlich im November 1994 aus medizinischen Gründen unter Vorbehalt entlassen. Drei Wochen später besuchte eine UN Delegation Drapchi, um sich ein Bild von dem Stand der religiösen Freiheit in Tibet zu machen. Yulo Dawa Tsering durfte den Sonderberichterstatter für religiöse Intoleranz Abdelfattah Amor sprechen. Er bekundete seine Sorge über die entstellte Version der tibetischen Geschichte, die der Welt dargestellt wird, und fügte hinzu, er sei aus politischen Gründen verhaftet worden.

1996 verlautete, daß Yulo effektiv unter Hausarrest gestellt worden war, wohl als Strafe für seine Kommentare den UN Vertretern gegenüber. Drei Abgeordnete des Europäischen Parlaments besuchten Lhasa Anfang November 1996 und durften 10 Minuten lang mit Yulo sprechen. Das Treffen fand an ungenanntem Ort und unter großer Sicherheitsvorkehrung statt; chinesische Beamte waren anwesend und Photographieren war verboten. Ebenso wenig wurde ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Die Abgeordneten berichteten, Yulo habe unter einer Art Zwang gestanden und sich nicht frei bewegen können. Noch wurde Mary Robinson, die Tibet im September 1998 besuchte, erlaubt, Yulo Dawa Tsering zu treffen. Es ist anzunehmen, daß er bis zu seinem Tod am 16. Januar unter ständiger strenger Überwachung durch die chinesischen Behörden stand.

Teil 3

Tibetischen Studenten wird das Universitätsstudium verweigert

Das TCHRD erhielt bestätigte Information, daß im Jahr 2001 etwa 300 tibetischen Jugendlichen die Möglichkeit zu höheren Studien versagt wurde. Es handelte sich um spezialisierte Studiengänge wie Medizin, Sekretärsausbildung, Bankwesen, Buchhaltung und Polizeiwesen.

In einem Bulletin für Prüfungsergebnisse der TAR Erziehungsbehörde vom 30. Juli wurden 225 Punkte als Minimum 225. Vier Tage später wurde plötzlich über TV verkündet, daß für die Zulassung eine höhere Punktzahl erforderlich sei. Dies bereitete den Studenten und ihren Familien großen Verdruß, denn sie hatten sich schon auf ihre Universitätsausbildung gefreut.

Ungefähr 300 Personen, vor allem die Studenten und ihre Eltern, versammelten sich vor der Erziehungsbehörde des Bezirks Lhasa, um ihr Anliegen vorzubringen. Nachdem sie kaum eine Reaktion von dem Chef dieser Behörde erhalten hatten, begaben sie sich zu dem Amtssitz der TAR Regierung, wo sie gegen diese abrupte und unbegründete Änderung Einspruch erhoben. Anhand des ursprünglich veröffentlichten Bulletins präsentierten sie ihren Fall. Ein untergeordneter Beamte erklärte ihnen, es sei nur ein unglücklicher Schreibfehler gewesen. Dann wollte er wissen, wer diesen Protest anführe, und riet ihnen davon ab, derartige Dinge zu tun. Das schüchterte die aufgebrachten Eltern ein. Die etwas keckeren bekamen etliche Drohungen zu hören. Der Beamte fragte, wer die Verantwortung übernehmen würde, falls der Protest politisch ausarten sollte.

Wegen dieses Protests und aus Furcht vor einer Eskalation machte die Regierung nun Anstalten, die Lage zu bereinigen. Sie bot den Studenten die Möglichkeit, unter Befreiung von Gebühren ein weiteres Jahr in ihrer jetzigen Klasse zu bleiben. Tatsächlich ist dies aber keine gute Lösung, denn es würde den Studenten ja nichts nützen, ein erfolgreich beendetes Schuljahr zu wiederholen, und für das folgende Jahr hätten sie ebenso wenig Gewißheit, in die Universität aufgenommen zu werden. Einem der Studenten zufolge war die Behauptung der Regierung, nur 200 Studenten wären von dieser Diskrepanz betroffen, nicht richtig. Abgesehen davon seien diese Studienplätze speziell für Angehörige ethnischer Minderheiten reserviert. Er sagte, chinesische Kader würden bestochen, um die für Tibeter als Kategorie "ethnische Minderheit" reservierten Plätze chinesischen Studenten zu vergeben.

Kurz gesagt, stehlen die Chinesen die wenigen Möglichkeiten, die tibetischen Studenten zustehen diesen noch weg. Diese Vermutung wird durch die Tatsache erhärtet, daß 2001 von den 1.019 Studenten, die für die reservierten Studienplätze infrage kamen, nur 405 Tibeter, jedoch 515 Chinesen waren. Diese Situation verwundert besonders, wenn man an Pekings Angaben denkt, daß riesige Summen zur Förderung des Bildungswesens in der TAR investiert worden seien. Die Behauptungen werden von der Tatsache widerlegt, daß ein Drittel aller Tibeter, die jedes Jahr aus Tibet fliehen, Kinder und Jugendliche auf der Suche nach Schulbildung sind. 2001 alleine kamen 750 Kinder unter achtzehn im Exil an.

Teil 4

Polizist wegen eines Parolen-Zwischenfalls festgenommen

Einem unlängst aus Tibet eingetroffenen Flüchtling zufolge fing ein tibetischer Polizist namens Tsangpa in betrunkenem Zustand an "Free Tibet" zu rufen. Er befand sich zusammen mit anderen Tibetern in einer Bar. Innerhalb kurzer Zeit nahm die chinesische Polizei aus Kreis Dzokhang, Shigatse, TAR, Tsangpa fest und schloß ihn 5 Monate lang in dem dortigen Haftzentrum ein. Danach wurde er auf freien Fuß gesetzt, jedoch sofort von seiner Stelle als Polizist entfernt. Er soll inzwischen in sein Heimatdorf in der Präfektur Shigatse zurückgekehrt sein. Der Informant berichtete auch über einige Fällen von Rassendiskriminierung. In einem Theater kam es zu einer Schlägerei zwischen einigen chinesischen Soldaten und zwei lokalen tibetischen Burschen, Dawa und Tashi. Beide Parteien wurden gleichermaßen verletzt. Nach ihrer Genesung wurden Dawa und Tashi eine Woche lang hinter Gitter gesetzt, während die chinesischen Soldaten unbestraft ausgingen.

Teil 5

Erdrückende Steuerlast

Der unlängst aus Tibet geflohene Sonam berichtet: "Meine Familie zählt drei Personen. Wir müssen jedes Jahr fünfzig Prozent unserer gesamten landwirtschaftlichen Erträge an den Staat abführen. Diese hohen Steuern stellen eine ungeheure Belastung für viele Bauern dar, die ohnehin nicht genug zum Leben haben.

Es gibt in dem Dorf Nyigo 13 Haushalte mit 140 Einwohnern. Fünf Familien mit etwa 60 Personen haben nicht genügend Nahrungsmittel und müssen immer wieder von anderen Familien Geld ausleihen. Im vierten Mondmonat des tibetischen Kalenders gehen sie dann yartsa gunbhu sammeln, um die Kredite zurückzuzahlen. Trotz der dürftigen Lebensbedingungen gewährt die chinesische Regierung den Armen kaum Beihilfe. Statt dessen zeigen sich diejenigen Tibeter, denen es ein wenig besser geht, großzügig und geben den Armen Essen und Kleidung.

Es gibt keine Medizinstation in der Gemeinde. Um zu dem Kreishospital zu gelangen, muß man einen Tag lang reiten. Außerdem sind die Gebühren dort sehr hoch, so daß die Leute aus den Dörfern sie nicht aufbringen können. Nicht einmal schwerkranke Patienten erhalten die dringend benötigte medizinische Betreuung."

Schulmöglichkeit - Sonam fuhr fort: "Unter der Schirmherrschaft des Drayab Kyabgon Rinpoche, der im Ausland lebt, wurde in unserer Gemeinde eine Grundschule gebaut. Dort werden keine Gebühren erhoben. Es heißt, Rinpoche zahle das Gehalt der Lehrer. Nach der Grundschule können die Eltern sich jedoch nicht mehr leisten, ihre Kinder auf die Mittelschule zu schicken. Die Gemeinde umfaßt 12 Dörfer, aber bisher gelang es keinem einzigen Tibeter aus dieser Gegend, es in die Mittelschule zu schaffen."

Teil 6

Zwangsausweisung aus angestammtem Grundbesitz

Dorjee Lhundrup, ein Neuankömmling aus Tibet, wuchs mit seinen zwei Geschwistern in Kreis Gonjo, Präfektur Chamdo, auf. Er besuchte niemals eine Schule. Statt dessen half er seinen Eltern bei der bäuerlichen Arbeit und der Viehhaltung. Lhundrup berichtet:

"Vor etwa 2 Jahren kamen plötzlich unzählige chinesischer Arbeiter in unsere Gegend. Sie markierten alle Bäume mit roter Farbe und untersuchten den Boden und das Gestein in der Umgebung. Was der Zweck ihrer Handlung war oder warum sie gekommen waren, wurde uns nicht gesagt. Viele Gerüchte machten die Runde, etwa, daß die Chinesen Bodenschätze in der Gegend abbauen oder den Wald abholzen wollten und daß die lokale Bevölkerung vertrieben würde. Manche vermuteten auch, es könnte eine große militärische Anlage gebaut werden.

Anfang 2000 beriefen die Behörden dann die 60 hier ansässigen Familien zu einem Meeting ein. Sie erklärten uns, daß wir alle wegziehen müßten und daß an anderer Stelle Häuser für uns gebaut würden. Viele Familien entgegneten, sie hätten auf diesem Grund und Boden schon über 100 Jahre gelebt und wollten nicht weggehen. Darauf antworteten die Kader, das Land gehöre in Wirklichkeit dem chinesischen Staat, der es wiederum an die einzelnen Haushalte verpachte. Sie sagten auch, der Drichu Fluß, der die Grenze zwischen der TAR und China bildet, würde oft über die Ufer treten, was schwere Probleme in China verursacht habe. Die Behörden gaben einige fadenscheinige Erklärungen dahingehend, daß unser Weggang doch hilfreich wäre, um zukünftige Überschwemmungen zu vermeiden. Wenn wir jedoch nicht von der Stelle wichen, müßten wir 70.000 Yuan Strafe zahlen.

Die für die Umsiedlung ausersehene Gegend liegt in Kreis Miling, Präfektur Kongpo. Dort wurde seit fast zwei Jahren an neuen Häuser gebaut. Im Dezember 2001 gaben die Behörden uns Bescheid, daß die Häuser bezugsfähig seien. Alle 60 Familien wurden auf etwa 100 Militärlastwagen verladen, und wir reisten fünf Tage von Kreis Gonjo nach Miling. Für die Fahrt selbst brauchen wir nichts zu bezahlen, jedoch für unsere Verpflegung unterwegs.

Jedes Jahr umwanden Hunderte von Pilgern den in der Nähe gelegenen heiligen Berg Sangchen Bum. Dort lebten Lama Dhargyal und 15 Mönche und Nonnen in einer großen Höhle. In der Zeit, als die genannten Familien von ihrem angestammten Land zwangsentfernt wurden, wurden auch die Mönche/Nonnen mit Ausnahme des Lamas gezwungen, an den neuen Ort umzusiedeln.

Das Ackerland in der neuen Lokalität ist schlechter als das bisherige, weshalb es viel schwieriger zu bestellen ist. Die Häuser wurden im chinesischen Stil gebaut und schienen für die Bedürfnisse tibetischer Bauern- und Nomadenfamilien nicht geeignet. Letztere wurden in zwei Areale von je 30 Familien gruppiert. Jedes Haus hat 3 Zimmer, aber keine weiteren Einrichtungen. Ein großes Problem ergab sich für die Umgesiedelten dadurch, daß zu wenig Häuser gebaut wurden und 9 Familien leer ausgingen. Bei einem Meeting in dem früheren Dorf im vorhergehenden Jahr mußte sich jede Familie eintragen lassen, um Anrecht auf ein neues Haus zu bekommen. Unglücklicherweise waren einige Familien, darunter auch unsere, gerade nicht anwesend, weshalb keine Häuser für sie gebaut worden waren.

Vier der häuserlosen Familien fanden bei Verwandten Unterschlupf, und die anderen fünf, darunter auch unsere, gingen zu Verwandten nach Lhasa. Die Lokalbehörden versprachen, die Regierung würde uns drei Jahre lang eine Entschädigung zahlen, aber bis jetzt hat noch keine Familie etwas bekommen. Meine Angehörigen wohnen gegenwärtig in Lhasa und sind auf der Suche nach einer Beschäftigung. Zusammen mit einem Freund beschloß ich, aus Tibet zu fliehen. Wir erreichten am 13. Februar 2002 das Tibetan Reception Centre in Kathmandu."

Teil 7

"Patriotische Umerziehung" in Kanchuen Denchen Choeling

Choedon berichtet: "Mit 15 Jahren wurde ich Nonne in Kanchuen Denchen Choeling. Zuvor half ich meiner Familie, die fünf Personen zählt. Ich erhielt keinen regulären Schulunterricht. In meinem Kloster lebten 64 Nonnen, als ich eintrat. Aber wegen der Restriktionen der Chinesen sind es heute nur noch 20.

Im Januar 2000 verboten die Chinesen die Bilder Seiner Heiligkeit des Dalai Lama. Kurz darauf begann die patriotische Umerziehungskampagne, und sie verlangten von uns, den Dalai Lama zu verunglimpfen. Einige Nonnen weigerten sich, dies zu tun und ernteten schwere Schläge. Wir mußten die chinesische Version der tibetischen Geschichte auswendig lernen und erklären, Tibet und China seien schon immer eins gewesen."

Choedon berichtet auch über die Besteuerung in der Ortschaft Jupa, Distrikt Nangchen, Provinz Tsongon. Jedes Jahr müssen die Dorfbewohner einen Yak und eine entsprechende Menge Käse abliefern, und im Winter wird den Leuten Fleisch weggenommen. Zwei Familien tun sich gelegentlich zusammen, um einen Yak, ein Schaf und eine Ziege an die Lokalbehörden abzuführen. Choedon klagt: "Die ohnehin schon bedürftigen Tibeter werden durch diese willkürlich erhobenen Steuern noch ärmer".

In der Gegend gibt es viele Chinesen, die ein weit besseres Leben als die Tibeter haben. Chinesische Bürger brauchen keine Steuern zu zahlen. 2001 wurde eine neue Regelung eingeführt, daß eine Person nicht mehr als 5 Stück Vieh besitzen darf; denjenigen, die mehr haben, werden die überzähligen Tiere konfisziert. Die Nonne fuhr fort: "Die Nomaden leben von ihren Tieren und diese zahlenmäßige Begrenzung wird sich sehr negativ auf ihr Leben auswirken. Es gibt auch eine Steuer auf Wasser und Gras, etwa 500-600 Yuan jährlich, die alle in bar entrichten müssen."

Teil 8

Portrait: Dreimal politischer Gründe wegen verhaftet

Der 33-jährige Mönch Lobsang Namgyal (alias Lonam) stammt aus Kreis Chushul, Bezirk Lhasa; er kommt aus bäuerlichem Hintergrund. Als Kind besuchte er fünf Jahre lang die örtliche Grundschule, später hatte er Möglichkeit, an dem Buddhistischen College Nechung in Lhasa zu studieren.

Im März 1990 wurde Lonam erstmals festgenommen, weil er einer Gruppe Nonnen aus dem Kloster Shugseb geholfen hatte, der Verhaftung zu entgehen. Sie hatten vom 5-7. März 1995 drei Tage lang demonstriert. Er half diesen fliehenden Nonnen, die gewöhnliche Frauenkleider trugen, zurück in ihr Kloster zu gelangen.

Bald nach seiner Festnahme wurde Lonam in die Seitru Haftanstalt in Lhasa gebracht, wo er gefoltert wurde. Man warf ihm vor, er übe einen "schlechten Einfluß aus und stachle die anderen Tibeter in dem Haftzentrum auf". Aus diesem Grund wurde Lonam bald in das PSB Haftzentrum von Lhasa transferiert, wo es mit der Tortur weiterging. Lonam wurde mit einer politischen Gefangenen namens Tsekyi Gesicht-zu-Gesicht zusammengefesselt und in dieser Position gefoltert.

Nach einem Jahr wurde er entlassen. Vorher verlangten sie noch von ihm, er müsse für sein Essen während der gesamten Zeit seiner Inhaftierung bezahlen, und zwar 3 RMB pro Tag, andernfalls dürfe er die Anstalt nicht verlassen. Es ist nicht bekannt, ob Lonam tatsächlich die verlangte Summe zahlte. Nach der Entlassung durfte er nicht mehr in sein College zurückkehren. So wohnte er nun irgendwo in Lhasa und verrichtete religiöse Dienste in tibetischen Häusern. Im Februar 1995 wurde er ohne Haftbefehl oder Nennung eines Grundes erneut verhaftet. Sechs Monate war er in dem PSB Haftzentrum von Lhasa eingeschlossen. Dann wurde er zu 3 Jahren "Reform-durch-Arbeit" in dem Trisam Arbeitsreform-Lager verurteilt. Während seiner Inhaftierung machte er ungeheure Leiden und Mißhandlungen durch.

Anfang 1997 wurde Lonam aus der Haft entlassen. Aber auch danach blieb er unter ständiger Überwachung und mußte regelmäßig über seine Aktivitäten Rechenschaft ablegen. Da er gebildet war, gab er nun in seiner Freizeit Nachhilfeunterricht. Abgesehen von diesen Privatstunden hatte er keine Hoffnung, jemals eine Anstellung zu finden.

Im April 2001 gab es mit der Wiederaufnahme der "Hartdurchgreif" Kampagne viele Verhaftungen in ganz China und Tibet. Während die Kampagne hauptsächlich darauf abgerichtet ist, gegen Kriminaldelikte wie Schmuggeln, Drogenhandel, Mafiaverbrechen und Mord vorzugehen, hat sie in Tibet andere Formen angenommen. Die "Hartdurchgreif" Kampagne wird in Tibet ausgenutzt, um brutal gegen politische Aktivitäten vorzugehen.

Im Juni 2001 wurden einige Personen aus Lhasa auf Verdacht der Beteiligung an politischen Aktivitäten festgenommen. Lonam war einer von ihnen, und wieder kam er in das PSB Haftzentrum von Lhasa. Dort wurde er intensiven Verhören und Schlägen unterworfen. Viele Monate lang wußten seine Angehörigen und Freunde nichts über seinen Verbleib und seinen Zustand. Im November 2001 sprach das Mittlere Volksgericht Lhasa das Urteil über Lonam. Er wurde unter Anklage der "Gefährdung der Staatssicherheit" zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt. Innerhalb von 10 Tagen nach seiner Verurteilung wurde Lonam in das Drapchi Gefängnis verlegt, wo er derzeit seine Strafe verbüßt.

nach oben