Human Rights Update

April 2001

Inhalt
  1. Wegen Flugblattverteilens eingesperrt
  2. Tibetischer Lehrer und Preisträger flieht ins Exil
  3. Ehemaliger Angehöriger des "Public Security Bureau" zu 16 Jahren Haft verurteilt
  4. Mönche fordern wegen Dalai Lama Bildern Festnahme heraus
  5. Drei Personen auf Verdacht festgenommen
  6. Offizieller Vandalismus in Kloster Gyalpa
  7. Ganze Nomadenfamilie flieht ins Exil
  8. Tibetischer Verleger stürzt sich in die Freiheit
  9. Verkehrspolizist klagt über Benachteiligung bei der Arbeit
Teil 1

Wegen Flugblattverteilens eingesperrt

Wegen Verteilens von Freiheitszetteln wurde Bagdro, alias Ngawang Kyonmey, in zwei chinesischen Haftzentren mit Gefängnis und Folter bestraft. Am 7. November 1998 hatte er von einem Freund 200 Free Tibet Zettel bekommen, die er an geeigneten Stellen in und um das Kloster Drepung verteilte, was schließlich zu seiner Verhaftung führte. Etwa eine Woche später nahmen zwei lokale tibetische Polizisten Bagdro fest und transportierten ihn in einem Konvoi von 5 Polizeifahrzeugen zu der lokalen Polizeistation. Er leugnete hartnäckig, irgend etwas von der Verteilung der Flugblätter zu wissen oder gar dafür verantwortlich zu sein. Als er am nächsten Tag in die Polizeistation von Lhasa gebracht wurde, weigerte er sich auch dort, irgendeine Aussage zu machen und täuschte Krankheit vor.

Um die gewünschte Information aus Bagdro herauszupressen, rissen die Vernehmungsbeamten ihm die Robe vom Leib, schleppten ihn zu einem Wasserhahn und hielten seinen Kopf unter das fließende Wasser. Sie schlugen seinen Kopf erbarmungslos, boxten ihn in die Brust und hauten ihn immer wieder gegen die Wand. Dann sperrten sie ihn in eine Einzelzelle. Die Vernehmung ging den ganzen nächsten Tag unter Mißhandlungen weiter, doch Bagdro stellte sich unwissend und forderte die Beamten auf, doch Beweise für sein angebliches Verbrechen zu liefern. Dann ließen sie ihn fast nackt nur mit der Unterhose bekleidet dastehen und fesselten seine Hände, wobei der rechte Arm über die Schulter gezerrt und der linke Arm hinter den Rücken gebogen wurde, so daß ihm jede Bewegung unmöglich gemacht wurde. Weil er diese Marter schließlich nicht mehr aushalten konnte, bekannte er sich zu seinem Tun. Als die Folterer weiter in ihn drangen, wer ihm die Flugblätter ausgehändigt hätte, log er, ein Fremder hätte ihm den Beutel gegeben. Bei der Durchsuchung seines Zimmers in dem Kloster kam ein Photo von Gedhun Choekyi Nyima (dem vom Dalai Lama anerkannten Panchen Lama) und ein Bündel von etwa 100 Freiheitsbroschüren zum Vorschein. Nach zwei Tagen wurde er in die Gutsa Haftanstalt verlegt, wo er 27 Tage festgehalten und insgesamt 9 Tage vernommen wurde. Unter Schlägen, Ohrfeigen und Stößen befahlen die Vernehmer ihm, die Namen der anderen an der Flugblatt-Affaire beteiligten zu nennen. Er weigerte sich, weitere Aussagen zu machen. Dann wurde er 1 Jahr und 11 Monate in dem Haftzentrum von Samye eingesperrt. Am 18. November 2000 wurde Bagdro entlassen, durfte aber nicht mehr in sein Kloster zurückkehren. Er wurde angewiesen, sich stets bei der Polizeibehörde zu melden, wenn er irgendwo hingehen wollte, was ihn in ständige Angst und Ungewißheit versetzte.

Bagdro weiß von anderen politischen Gefangenen, die aus demselben Grund wie er am 16. Juni 1999 verhaftet wurden. Sie wurden nach fast 7 Monaten Untersuchungshaft schließlich zu Strafen verschiedener Länge verurteilt. Nyima Dolma aus dem Kloster Garu wurde zu 3 Jahren in Drapchi verurteilt, Samdup aus Kloster Drepung hatte schon einmal 1993 wegen eines Protestes eingesessen. Nun wurde er wieder wegen Flugblattverteilens zu 4 Jahren verurteilt. Tashi Nyima aus dem Kloster Drepung bekam 1 Jahr und 5 Monate wegen Druckens und Verteilens von Unabhängigkeitsschriften.

Bei einem Meeting in Dorf Nagka in Kreis Dechen verlas der Dorfchef eine Order der Zentralregierung: Aller Grund und Boden gehört der Nation, und wenn irgendein Gebäude auf Staatsland steht, muß der Besitzer ohne jegliche Entschädigung ausziehen. Eine zweite Siedlung soll innerhalb von 2-3 Jahren in Dechen mit einer geplanten Eisenbahnverbindung nach Lhasa gebaut werden.

Bagdro, der seit 1989 Mönch des Klosters Drepung war, hatte nur wenige Monate die Dorfschule besucht. Weil seine Familie ihn zu Hause als Arbeitskraft brauchte, war er zuvor als Bauer tätig. In seinem Dorf Panpo gibt es rund 80 Haushalte, aber keinen elektrischen Strom.

Bagdro sagt, er sei von dem starken Verlangen, seine Aktivitäten für die Unabhängigkeit fortzusetzen, beseelt gewesen und hätte sich völlig verloren gefühlt, als ihm der Wiedereintritt in das Kloster verwehrt wurde. So beschaffte er sich um 500 Yuan eine Handelslizenz und floh mit drei anderen Personen, die einem Wegführer je 200 Yuan bezahlten. Er erreichte am 18. Februar 2001 das Tibetische Flüchtlingszentrum in Kathmandu.

Teil 2

Tibetischer Lehrer und Preisträger flieht ins Exil

Die Behörden von Kreis Yushul bestimmten Tsetan Dhondup, einen Lehrer und Träger einer besonderen pädagogischen Auszeichnung, um in Peking für den Posten des Dekans für Studenten ausgebildet zu werden.

Sechs Jahre war er zur Grundschule der von den Chinesen gebauten Gemeinde Sumo gegangen. An dieser Schule gab es 12 Lehrer, sowohl Tibeter als auch Chinesen, die ein Monatsgehalt von 800 Yuan bezogen. Dann ging er drei Jahre lang zur Mittelschule von Kreis Yushul, wo er pro Halbjahr 200 Yuan an Gebühren zahlen mußte. Die Hauptfächer dort waren angewandte Politik, Chinesisch und Tibetisch. An dieser Schule, die 400 Schüler und viele chinesische Lehrer zählte, sprechen rund 20% der ethnischen Tibeter überhaupt kein Tibetisch mehr. 1995 beendete Dhondup die Mittelschule. Als nächstes schrieb er sich in dem Lehrerausbildungsinstitut ein, an dem er 4 Jahre studierte. Dort bilden Tibeter die Mehrheit der insgesamt 600-700 Studenten, aber nur 20% von ihnen lernen die tibetische Sprache. Weil es sich um ein Nebenfach handelt, ist ihre Kenntnis des Tibetischen oberflächlich und gering. Tashi Norbu und Jamyang, die so kühn waren, bei der Erziehungsbehörde zu beantragen, daß Tibetisch zu einer offiziellen Sprache gemacht werden sollte, wurden als "Konterrevolutionäre" gebrandmarkt. Nach Absolvierung der Lehrerausbildung unterrichtete Dhondup etwa 40 Schüler der Volksschule des Kreises Trison in Chinesisch. Diese Schule hat etwa 220 Schüler und einen Lehrstab von 31 Personen.

Der Informant berichtete uns auch über Guesa Choegyal aus dem Kloster Guesa, Kreis Litha, der eine gehobene Position in der chinesischen Regierung innehat. Als glühender Verfechter der Herrschaft der chinesischen Kommunisten in Tibet hißte Choegyal einst in seinem Kloster eine chinesische Flagge, um seine hundertprozentige Loyalität zu beweisen. Bei einer religiösen Einweihungszeremonie im Juli 2000 soll Choegyal "Der Dalai Lama ist eine Bedrohung für die nationale Sicherheit, für den Buddhismus und den allgemeinen Frieden" gesagt und beteuert haben, daß er in dem Kampf gegen die Spalter-Aktivitäten des Dalai Lamas nicht nachlassen werde. So gab er viel Prochinesisches und Gehässiges über den Dalai Lama von sich. Weil er sich vor einem etwaigen Attentat der "Dalai Clique" fürchtete, boten ihm die Leibwächter des nationalen Sicherheitsdienstes während der Initiation rund um die Uhr Schutz. Im Zusammenhang mit einem Plakat-Zwischenfall verhaftete die örtliche Polizei damals vier Mönche, deren Namen jedoch unbekannt sind. Choegyal soll Hunderte von Shugden Photos unter die Leute verteilt und den Wunsch "Mögen sich diese in ganz Tibet durchsetzen" geäußert haben.

Unser Informant sprach auch mit Lui Sha Jui, einem chinesischen Angestellten an der Siling Manufaktur für religiöse Kunst, der ihm erzählte, daß er auf Verlangen Choegyals von einem Shugden-Bild 30.000 Nachdrucke angefertigt hätte. Es heißt, Choegyal stehe hohen chinesischen Funktionären sehr nahe, und in dem Jahresheft des Klosters wurden sogar einige Photos veröffentlicht, wo der chinesische Premierminister Zhou Rongji ihm die Hand drückt. Einige Leute von Kreis Trisong sind seine treuen Anhänger und verehren ihn sehr.

Der heute 21-jährige und aus dem Dorf Rongtho, Gemeinde Sumo, Kreis Yushul, Provinz Qinghai, gebürtige Dhondup erreichte am 26. November 2000 das Tibetan Reception Center in Kathmandu. Beim ersten Fluchtversuch wurde Dhondup mit einer großen Gruppe von 24 Flüchtigen in Shigatse festgenommen. Während des einmonatigen Gewahrsams wurden sie von der Polizei vernommen, und all ihre Habe wurde ihnen weggenommen. Dhondup begab sich nach seiner Freilassung nach Lhasa, von wo aus er sich wieder auf die Flucht machte, diesmal mit Erfolg. Obwohl er in Tibet gut etabliert war und eine aussichtsreiche Zukunft vor sich hatte, zog Dhondup vor, aus Tibet zu fliehen. Er sagte, er hätte ein starkes Verlangen, seine Dienste der tibetischen Regierung-im-Exil zur Verfügung zu stellen und sich aktiv in dem tibetischen Freiheitskampf zu engagieren.

Teil 3

Ehemaliger Angehöriger des "Public Security Bureau" zu 16 Jahren Haft verurteilt

Dadul, ein 33-jähriger ehemaliger PSB Beamter, stammt aus Lhasa. In früher Jugend verlor er seinen Vater, weshalb seine verwitwete Mutter ihn und drei Geschwister unter Schwierigkeiten alleine aufziehen mußte. Dadul ging 5 Jahre lang in der Volksschule No. 1 von Lhasa und arbeitete dann einige Jahre lang auf dem Bau. 1985 wurde er von dem chinesischen PSB in der Präfektur Kongpo rekrutiert. Zwei Jahre später fand sich Dadul in eine größere Schlägerei zwischen chinesischen und tibetischen Soldaten verwickelt. Es heißt, Chinesen und Tibeter kämen niemals gut miteinander aus. Inmitten der Handgreiflichkeiten traf Dadul einen chinesischen Soldaten und brachte ihm ernste Verletzungen bei.

Er wurde daraufhin festgenommen und fast 6 Monate lang in eine Isolationszelle gesteckt. Außerdem wurde er seines Dienstes enthoben. Als er wieder in seine Heimatstadt zurückkehrte, konnte er keine Arbeit finden, weil seine Verwicklung in den Vorfall seinen Ruf geschädigt hatte. Die meiste Zeit saß er müßig da.

Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre sah Tibet die meisten Proteste für Unabhängigkeit und gegen das chinesisch-kommunistische Regime. Inspiriert und begeistert von der Bewegung startete Dadul am 5. März 1989 zusammen mit ein paar Freunden eine friedliche Demonstration. In der Umrundungsgegend am Barkhor riefen sie Slogans wie "Tibet gehört den Tibetern", "Chinesen raus aus Tibet" und "Lang lebe Seine Heiligkeit, der Dalai Lama".

Die Demonstration währte zwei Tage. Am 7. März rannte ein Chinese auf die Protestanten zu. In ihrer Wut und von Nationalismus entflammt steinigte die aufgebrachte Menge den Mann zu Tode. Das PSB von Lhasa verhaftete Dadul noch am selben Abend und machte ihn für den Mord an dem Chinesen verantwortlich. Von allen wurde er herausgegriffen und ihm wurde der Tod des Chinesen angelastet. Danach wurde er in dem PSB Haftzentrum der TAR intensiven Verhören unterworfen und vor das Mittlere Volksgericht von Lhasa gestellt. Im Oktober 1989 verurteilte das Gericht Dadul zu 16 Jahren Haft unter der Anklage von Mord, der als in direkter Opposition zu der Kulturrevolution begangen angesehen wurde. Dadul und einige seiner Kameraden wurden im November jenes Jahres nach Drapchi verlegt, wo er immer noch eingesperrt ist.

Daduls Leid nimmt kein Ende. Im Oktober 1994 wurde er wegen angeblicher Aufhetzung in eine Einzelhaftzelle gesteckt, und der Kontakt mit den Mitgefangenen wurde ihm untersagt. Außerdem finden die Gefängniswachen immer etwas, um ihn zu sticheln, was sein Leben zu einer Hölle macht. 12 Jahre sind nun seit seiner Verhaftung 1989 vergangen, und auf Entlassung kann er erst 2005 hoffen.

Teil 4

Mönche fordern wegen Dalai Lama Bildern Festnahme heraus

Das Verbot von Dalai Lama Photos löste 1996 in Kloster Ganden einen Massenprotest und physische Gewalt aus. Am 5. Mai 1996 hielten 10 Kader eines Arbeitsteams von der Religionsbehörde in Lhasa für die Mönche Unterricht in politischer Doktrin und verkündeten eine Order, daß das Aufstellen und der Besitz von Dalai Lama Photos von nun an verboten seien.

Die Mönche protestierten heftig gegen die Befehle der Regierung. Am folgenden Tag nahmen PSB Kräfte sie fest und hielten sie drei Monate lang in separaten Zellen im Gutsa-Haftzentrum fest.

Die Arrestanten wurden fast einen Monat lang schwer gefoltert und geschlagen. Die Aufseher prügelten sie, gaben ihnen Fußtritte und zwangen sie, gegen eine Wand gelehnt auf dem Kopf zu stehen. Sagyal, unser Informant, der 7 Tage lang verhört wurde und durch die brutalen Schläge schlimme Verletzungen davontrug, berichtet: "Diese Stellung ist so unerträglich, daß die Prügel und Tritte dem stundenlang auf dem Kopf stehen müssen noch vorzuziehen sind". Dabei erklärten ihnen die Peiniger, wenn sie die Namen der anderen Beteiligten herausrückten, dann würde ihre eigene Strafe milder ausfallen. Der Mönch Lobsang Palden, der diese Marter nicht mehr aushalten konnte, gab den Namen eines anderen Mönches unter dessen Spitznamen Pulupa preis. Dieser leugnete aber jede Beteiligung an dem Vorfall. Pulupa wurde später zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und ist gegenwärtig im Drapchi Gefängnis eingesperrt.

Die Häftlinge durften keine Lebensmittel von ihren Angehörigen annehmen und Sagyal erklärte: "Das vom Gefängnis gelieferte Essen reichte gerade zum Überleben aus. Morgens bekamen die Gefangenen eine Schale wäßrige Grütze, und ein momo am Nachmittag. Das Abendessen bestand aus einer halben Schale Reis und ein wenig Gemüse. Hunger ist eine der unerträglichsten Qualen in der Haft".

Nach 3 Monaten Untersuchungshaft wurden Sagyal und 11 seiner Mitmönche zu 1-2 Jahren "Reform durch Arbeit" verurteilt. 9 Mönche, auch unser Informant, wurden zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Von den anderen 8 sind Sonam Tenpa, Ngawang Kalsang, Tsering Badro, Phurbu Tsering, Badro und Penpa aus dem Kloster Meldrogonga, während Tenzin Yeshi und Tsultrim Gyaltsen aus Kreis Tazi stammen. Tenzin Yeshi verschied nach seiner Entlassung aufgrund der unaufhörlichen Folterung, die er erlitten und die sein Rückgrat gebrochen hatte. Die drei zu einem Jahr Haft verurteilten Mönche sind: Dapap und Tashi Dorje aus Kreis Tazi, sowie ein weiterer dem Informanten namentlich nicht bekannter.

Alle 11 verurteilten Mönche leisteten ihre Strafe in dem Gefängnis Toelung Trisam ab, wo sie geschlagen und gepeinigt wurden, wenn sie die Gefängnisregeln übertraten. Sie mußten verschiedenerlei körperliche Arbeit leisten wie Häuser bauen und Gülle auf die Felder des Gefängnisses tragen. Auch einige Mönche von Kloster Drepung befanden sich als politische Gefangene in Toelung Trisam, wie etwa Ngawang Tharchi (28), Ngawang Sangpo (34), Gyaltsen Yeshi (37) und Ngawang Lhundup (38). Weil sie sich gegen die Verleumdungskampagne gegen den Dalai Lama gewandt hatten, wurden sie zu 2 und 3 Jahren verurteilt, sind aber inzwischen alle entlassen worden.

Tenpa aus dem Tsukhlakhang Tempel, Lhasa, wurde 1997 festgenommen und zu 3 Jahren "Reformierung durch Arbeit" in Toelung Trisam verurteilt. Die einzige Anklage gegen ihn war, daß er angeblich politischen Häftlingen auf verschiedenerlei Weise geholfen haben soll. Nach langer Krankheit wurde er aus medizinischen Gründen entlassen und starb später in einem Krankenhaus. Sagyal besuchte Tenpa, der ihm erzählte, daß er im Gefängnis schwer geschlagen worden sei. Unser Informant ist überzeugt, daß Tenpas Tod auf die Mißhandlungen zurückzuführen ist.

Am 8. Mai wurde Sagyal zusammen mit Penpa, Tsering Badro und Badro entlassen, nachdem sie ihre Strafe von zwei Jahren und zwei Tagen abgebüßt hatten. Der Wiedereintritt in ihr Kloster wurde ihnen verwehrt. So ging Sagyal in seinen Heimatort Topa, wo er sich fast ein Jahr aufhielt, ohne eine besondere Beschäftigung zu haben.

Der erste Fluchtversuch, den er im April 2000 in einer Gruppe von 56 Personen unternahm, mißlang, als sie in Toelung festgenommen und nach Lhasa zurückgesandt wurden. Nach 15 Tagen Gewahrsam in Lhasa wurde den Arrestanten aufgetragen, innerhalb von 5 Tagen in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, anderenfalls würden sie wieder aufgegriffen, wenn man sie in Lhasa herumlungern fände. Sagyal ging daraufhin nach Kongpo, wo er seiner Schwester in ihrem Laden half.

Vor seinem zweiten Fluchtversuch beschaffte sich Sagyal um 500 Yuan einen gefälschten kommerziellen Ausweis, mit dem er bis Dram kam. Dort zahlte er zwei Sherpa Führern 3.300 Yuan, verkleidete sich als Nepali und lief in 6 Nächten über die Himalayapässe. Unterwegs mußte er einige Kontrolleure schmieren, die drohten, ihn der Polizei auszuhändigen. Am 28. Januar 2001 traf er in dem Tibetan Reception Centre ein. Er möchte nun in das Sera Kloster in Südindien eintreten.

Sagyal, ein 28-jähriger ehemaliger Mönch aus Kloster Ganden, stammt ursprünglich aus dem Dorf Topa, Kreis Zongan, Präfektur Chamdo. Als Gründe für seine Flucht nannte er: "In Tibet war es mir nicht gestattet, nach der Entlassung wieder in ein Kloster zu gehen. Ich vertrödelte einfach meine Zeit und hing herum, ohne etwas Gescheites zu tun. So machte ich mich auf den Weg ins Exil, damit ich in ein richtiges Kloster eintreten kann". Und er fügte hinzu: "Der Wille des tibetischen Volkes ist immer noch sehr stark".

Teil 5

Drei Personen auf Verdacht festgenommen

Im März 2001 hielten die PSB Milizen in Lhasa drei Tibeter unter dem Verdacht der Verwicklung in politische Aktivität fest. Anfang März wurde Anyu aus der Gemeinde Lhubhug, Lhasa, verhaftet, aber man weiß nicht, wo sie sich derzeit befindet. Der Information zufolge wurden auch zwei andere Verdächtige aus der Nähe von Lhasa festgenommen. Die heute 47-jährige Anyu wurde als kleines Mädchen von einem chinesischen Militärlastwagen angefahren, weshalb ihr ein Bein abgenommen werden mußte. Sie arbeitete als Schneiderin zu Hause. Die chinesischen Besatzer pflegen Tibeter einfach auf Verdacht hin willkürlich und für lange Zeitspannen festzuhalten.

Teil 6

Offizieller Vandalismus in Kloster Gyalpa

Am 28. März 1997 plünderten chinesische Polizisten das in Distrikt Tawu gelegene Kloster Gyalpa. Sie zertrümmerten die Fensterscheiben der umliegenden Gebäude und nahmen alle wertvollen Gegenstände mit. Lama Thupten Paljor wurde ins Gefängnis geworfen, weil er dem Vandalismus Einhalt gebieten wollte. Die Mönche wurden gewarnt, falls sie sich widerspenstig und ungehorsam zeigten, würde ihr Kloster ganz abgerissen. Die Polizisten, die in drei Fahrzeugen ankamen, waren eigentlich auf der Suche nach einem Verbrecher. Am 10. April umstellten etwa 200 bewaffnete Volkspolizisten das Kloster. Drei unschuldige Personen, ein Mann, eine Frau und ein 15-jähriges Mädchen, wurden ohne ersichtlichen Grund festgenommen. Sie waren einen Monat im Gefängnis, wo sie schwer mißhandelt wurden. Obendrein forderten die Aufseher von jedem 3000 Yuan für "die Verpflegung" in dieser Zeit.

Dalai Lama Bilder wurden verboten. Die Chinesen veranstalten häufig Razzien nach diesem verboten Photo und manipulieren auch die Suche nach den reinkarnierten Lamas. Der Informant Dorje Gyaltsen klagte, die Chinesen behaupteten zwar, sie würden den Tibetern Religionsfreiheit gewähren, aber tatsächlich sei das Gegenteil der Fall. Mönche aus anderen Teilen Tibets, besonders von den östlichen Provinzen, werden in den drei großen Klöstern Sera, Ganden und Drepung nicht aufgenommen. Der Staat setzte ein Mindestalter von 18 Jahren fest und Kinder tibetischer Kader dürfen nicht ins Kloster gehen. Nach der Flucht des Karmapa Ende 1999 mußten sogar die Eremiten ihre Meditationshöhlen verlassen.

Weiter erzählt Gyaltsen, die örtliche Bevölkerung schreibe die neuerliche Dürre und den geringen Niederschlag der übermäßigen Ausbeutung der Naturschätze zu, was allgemein üble Folgen hat. An einem Ort namens Garlong in Kreis Palyon, Kandze, rüsteten sich die Chinesen, um die Gold- und Silberlager abzubauen, auch sei zu diesem Zweck eine Fernstraße zwischen Garlong und Palyon gebaut worden.

Der aus dem Dorf Naten, Distrikt Tawu, Kandze, stammende Gyaltsen, ein ehemaliger Mönch des Klosters Gyalpa, erreichte am 9. Dezember 2000 in einer Gruppe von 22 Personen, die über den Kongpola geflüchtet waren, das Reception Centre. Jeder zahlte 1300 Yuan an einen Wegführer. Jetzt möchte Dorjee in das Kloster Sera in Südindien gehen, um dort seine geistlichen Studien fortzusetzen.

Teil 7

Ganze Nomadenfamilie flieht ins Exil

Eine aus 9 Personen bestehende Nomadenfamilie floh in der Hoffnung auf eine bessere Existenz in der Diaspora und um eine Audienz beim Dalai Lama zu bekommen. Sie verkauften ihre gesamten Habe mit einem Erlös von 10.000 Yuan und begaben sich insgeheim nach Lhasa, wo sie zwei Wochen in einem "Gästehaus für die Armen" wohnten. Diese Herberge, in der es keinerlei Komfort wie Bettwäsche und dergleichen gab, verlangte nur 1 Yuan pro Nacht. Der Informant, seine 46-jährige Frau und seine 80-jährige Mutter, reisten mit einem chinesischen Paß, während 4 ihrer 6 Kinder ohne Papiere die gefährliche Flucht antraten. Alle trafen sich wieder in dem Tibetan Reception Centre in Kathmandu. Zwei Mädchen blieben noch in Lhasa zurück und sollen später nach Nepal gebracht werden. Um sich einen chinesischen Paß zu beschaffen, mußte Choedhar eine Dri (weibliches Yak, das etwa 1000 Yuan wert ist), 40 kg Butter und zwei weitere Tiere hergeben. Zusätzlich zahlte er 300 Yuan Schmiergeld. Bei den verschiedenen Checkpoints unterwegs von Tibet nach Nepal mußten Choedhar und seine Familie einmal mit 255 Yuan und ein andermal mit 130 Yuan schmieren. Obwohl sie Pässe besaßen, stellte ihnen die Polizei unterwegs viele Fragen. Die Familie erreichte am 6. Januar 2001 das Tibetan Reception Centre in Kathmandu.

Der Nomade Tenpa Choedhar lebte in kümmerlichen Verhältnissen und erzählte, als Kind hätte er betteln gehen müssen. Er besaß etwa 30 Stück Vieh wie Schafe, Yaks und Dri. Die Viehsteuer, die er entrichten mußten, belief sich auf 400-500 Yuan im Jahr. Weiterhin gab es eine Kopfsteuer pro Familienglied, und bei Zahlungsunfähigkeit wurden noch Schuldzinsen berechnet. Manche Leute hätten die Steuern aufbringen können, andere wiederum nicht.

In Choedhars Dorf gibt es 120 Familien. Drei Kinder sind einem Ehepaar erlaubt, und für ein weiteres wird eine Strafe von 1800 Yuan gefordert, was manchmal zur Konfiszierung von Land und Besitz führt. Auf den Bezugsscheinen ist vermerkt, daß überschüssige Kinder keine Zuwendungen bekommen. Tenpa Choedhar, ein 40-jähriger Halbnomade, ist aus Lithang, Distrikt Kandze, gebürtig.

Teil 8

Tibetischer Verleger stürzt sich in die Freiheit

Ein junger tibetischer Verleger warf seinen lukrativen Job bei dem "China Tibet Cultural Research Centre" in Peking, wo er acht Jahre lang gearbeitet hatte, über Bord und wählte ein Leben in Freiheit unter der Führung des Dalai Lama.

Seit 2000 belegte Rinchen Dhondup einen Studiengang an der Ausländer Universität in Peking und war nur noch teilzeitig in dem Zentrum tätig. Weil er immer mehr Freunde verschiedener Nationalität an der Universität gewann, erregte sein Verhalten den Verdacht seiner Arbeitgeber, die ihm nicht mehr trauten. Anfang 2001 kehrte Dhondup zu den Losar Feiern (tibetisches Neujahr) in seine Heimat nach Chabcha, Amdo, zurück. Von dort reiste er nach Lhasa, wo er sich einen geschäftlichen Reiseausweis beschaffte, mit dem er die Grenze in Dram überschritt und am 25. März in Nepal ankam.

Das Forschungszentrum, das Anfang 1985 gegründet wurde und sich dem Studium der tibetischen Kultur, Geschichte und des Buddhismus widmet, gibt vierteljährlich ein Magazin mit dem Titel "Chinesisch-tibetische Kultur" in beiden Sprachen heraus. Das Institut wird außer durch den Erlös des Bücherverkaufs durch einen Zuschuß von 1 Million Yuan von der Zentralregierung finanziert. Der Grundgehalt der Mitarbeiter liegt zwischen 1200 und 2000 Yuan pro Monat. Von den 108 Angestellten sind nur 20 Chinesen. Der Direktor Dorjee Tseten, ein bekannter Gelehrter, der Tibetisch und Chinesisch fließend beherrscht, spezialisierte sich auf tibetische Kultur und Geschichte.

Das Zentrum veröffentlichte bisher über 100 Bücher in Tibet-spezifischer Forschung. Alle tibetischen Gelehrten des Zentrums sind Hochschulabsolventen, doch ihre Einstellung und ihre Beiträge zur Forschungsarbeit sind rein kommunistischen Charakters. Trotz ihrer gründlichen Kenntnis tibetischer Geschichte strotzen ihre Artikel von Huldigungen an das chinesische Regime in Tibet und von Verurteilung der sogenannten "spalterischen" Aktivitäten des Dalai Lama. Derartige Arbeiten bringen ihnen hübsche Belohnungen in Form von Gehaltserhöhungen oder Beförderungen ein.

Beiträge von außenstehenden Autoren werden nur veröffentlicht, wenn sie keine politischen Anspielungen etwa über tibetische Unabhängigkeit oder Dalai-Lama-freundliche Aussagen enthalten. Alles, was nur entfernt politisch sein könnte, wird sofort von chinesischen Propagandaschriften ersetzt. Ein spezieller wissenschaftlicher Mitarbeiter liest alle Artikel auf politische Elemente Korrektur. Der Forschungsleiter veröffentlicht schließlich nur das, was wirklich apolitisch ist. Ehe das Magazin endgültig zum Druck gelangt, wird es noch Tenzin, dem Stellv. Parteichef der Autonomen Region Tibet, zur Billigung vorgelegt. Die Herausgabe ist eine langwierige Prozedur, da jede Zeile sorgfältig auf etwaige versteckte Konnotationen durchkämmt wird. So dürfen die Autoren etwa den Satzteil "zuvor, als Tibet frei war" nicht schreiben. Um den Vorgesetzten zu gefallen, müssen sie immerzu über die Einheit von Tibet und China schreiben.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter haben im Zentrum ungehinderten Zugang zum Internet. Als Dhondup auf diese Weise zu Forschungszwecken durch verschiedene Websites surfte, bekam er auch einen Einblick in die Ansichten der Außenwelt und der internationalen Organisationen über Tibet und den Dalai Lama. Die Institutsbibliothek besitzt eine gute Sammlung alter Dokumente über Tibet, die bis vor 1959 zurückreichen. Um zu verhindern, daß die Benutzer etwas entwenden oder Kopien von Dokumenten machen, werden sie von einem Bibliothekar überwacht, der aufpaßt, welche Dokumente sie für ihre Arbeiten konsultieren.

Die Namensgebung für das Zentrum wurde sorgfältig erwogen. Man dachte, daß "China-Tibet Kultur-Forschungszentrum" China und Tibet als zwei verschiedene Länder mit unterschiedlichen Kulturen ausweisen könnte. Ab 2000 wurde das Zentrum daher in "Chinesisches Kultur-Forschungszentrum" umbenannt und das Wort "Tibet" gestrichen, in der Annahme, daß die Leute nun Tibets Kultur für einen Teil der chinesischen Kultur halten werden. Der Direktor des Tibetischen Medizininstituts von Lhasa (Mentsekhang) Troru Tsenam verfaßte zwei Bücher über Grammatik. Nachdem er seine Forschungsarbeiten 1996 abgeschlossen hatte, wurden sie an das Zentrum gesandt. Als die Bücher dann zwei Jahre später herauskamen, zog die chinesische Regierung sie aus dem einzigen Grund wieder zurück, weil die Schlußfolgerung des Buches eine unterschwellige politische Botschaft enthalten könnte. Ein paar Monate später wurde ein neuer Schluß hinzugefügt und jetzt steht die Neuauflage in allen führenden Buchläden.

Dungkar Lobsang Thinlay, ein Professor an der Tibet Universität und einer der größten Gelehrten seit der Kulturrevolution, arbeitete 15 Jahre lang an einem Lexikon für tibetische Geschichte. Es enthielt ein Verzeichnis tibetischer Bücher und Schriften, ihres jetzigen Standes und des historischen Hintergrundes. Es schloß auch eine detaillierte Geschichte aller Klöster, ihrer Gründer, der Stärke ihrer Belegschaft, der Anzahl der Statuen im Kloster und der Verwüstungen der Kulturrevolution ein. Der Professor konnte in seiner Forschungsarbeit genaue Information liefern, weil er an verschiedenen Universitäten in Peking und anderen Präfekturen studiert hatte. 1997 schickte er einen seiner Studenten mit zwei Dokumenten-Sammlungen, die er im Zusammenhang mit seinem Lexikon herausgeben wollte, an das Zentrum.

Unser Informant Dhondup hatte die Aufgabe, die Dokumente in einen Computer einzugeben, was unter völliger Geheimhaltung zu geschehen hatte. Er mußte tibetische Artikel und Bücher eingeben und editieren. Als er damit beschäftigt war, durfte niemand sonst sein Büro betreten, noch durfte er auch nur eine Seite der Forschungsarbeit aus dem Büro wegtragen. Selbst wenn er ein Wort nicht entziffern konnte, was bei der Handschrift des Professors manchmal der Fall war, durfte er niemand zu Rate ziehen. Die Manuskripte waren alle mit Bleistift geschrieben. Ein Mitarbeiter, der die Dokumente sorgfältig auf politische Elemente durchforschte, gab schließlich nicht ganz zwei Drittel des gesamten Werkes heraus. Der Professor, der inzwischen verstorben ist, wollte eigentlich drei Bücher schreiben, aber Dhondup meint, das zusammengestrichene Material reiche nun nicht einmal für zwei Bücher aus. Anfang 2001 begab sich einer seiner Studenten nach Peking, um herauszufinden, welchen Fortschritt die Veröffentlichung des Lexikons gemacht hätte. Dhondup weiß nicht, was weiter aus dem Lexikon geworden ist, weil es noch nicht erschienen ist.

Der Informant ist aus dem Dorf Chasang, Stadt Chabcha, Kreis Gonghor, Tibetisch Autonome Präfektur Tsolho, Provinz Qinghai, gebürtig. Nachdem er 12 Jahre lang an der Grund- und Mittelschule seiner Heimat Chinesisch und Tibetisch gelernt hatte, trat er in das Tashi Thegchenling Kloster ein. Fast ein Jahrzehnt lang widmete er sich intensiven Studien in buddhistischer Philosophie. 1995 wurde er als Mitarbeiter an das Forschungszentrum berufen.

Teil 9

Verkehrspolizist klagt über Benachteiligung bei der Arbeit

Der 25-jährige Chepa, Verkehrspolizist von Beruf, bemerkt, Tibeter, die schlecht in Chinesisch sind, würden in jedem Arbeitsfeld benachteiligt. Die Diskriminierung äußere sich hauptsächlich als sprachlich bedingte Voreingenommenheit gegen Tibeter, die als Arbeitskräfte eine Minderheit darstellen. Die Chinesen schauten auf die Tibeter als auf ein nichtsnutziges Gesindel herab. Chepa erklärte: "Die Chinesen sagen, als eine Minorität würden wir viele Privilegien genießen und hätten viele Chancen. Das ist alles nur Propaganda, denn das Gegenteil ist der Fall. Es gibt keine Freiheit für das tibetische Volk."

Seine Vorgesetzten, die hauptsächlich Chinesen waren, überwachten die Einhaltung der Verkehrsregeln und registrierten Fälle von Mißachtung. Die meiste Zeit unterschlagen die Beamten die erhobenen Bußgelder, indem sie keine Quittungen ausstellen. Während seiner Tätigkeit als Verkehrspolizist empfing Chepa ein Monatsgehalt von 1200 Yuan.

Chepa ging fünf Jahre lang zu der Volksschule in Kreis Sachoe, danach zu der Mittelschule von Sachoe und trat dann dem Lehrerinstitut von Tso bei, wo er tibetische Literatur und Grammatik studierte. Von der Gesamtstärke dieses Instituts von 1000 Studenten sind nur 40 in der tibetischen Abteilung Tibeter und der Rest alles Chinesen. Nach seinem Examen 1996 arbeitete er fünf Jahre lang als Verkehrspolizist. Zu seinem Job gehörte auch, von schlechten Fahrern, welche die Verkehrsregeln übertreten, Bußgelder einzutreiben.

Chepa, der schon früh zum Waisen wurde, hat 6 Geschwister. Zusammen mit 7 anderen Flüchtlingen reiste er über Dram und zahlte einem Sherpa Führer 1.700 Yuan. Sie gingen einen Tag und eine Nacht zu Fuß, bestiegen dann einen Bus nach Kathmandu und erreichten am 17. Januar das Tibetan Reception Centre.

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