Human Rights Update

Dezember 1999

Inhalt
  1. Tibet: Verschärfung der Kontrolle: Resumee des Jahresberichtes 1999
    1. Ausdrucksfreiheit
    2. Willkürliche Verhaftung und Festhaltung
    3. Politische Gefangene und Gewissensgefangene
    4. Folter in Haftzentren und Gefängnissen
    5. Religiöse Verfolgung
    6. Frauen und Geburtenkontrolle
    7. Die Rechte des Kindes
    8. Bevölkerungstransfer
    9. Verletzung des Rechtes auf Lebensunterhalt
    10. Verschwinden von Personen
    11. Rassendiskriminierung
    12. Empfehlungen
  2. Besorgnis um die Gesundheit von Phuntsok Nyidron
  3. Urteilsverlängerung für acht politische Gefangene
  4. Ngawang Choephels Verhaftung ist ein Fall willkürlicher Festhaltung
  5. Verlängerung der Haftstrafe eines Mönches auf die Drapchi Proteste hin
Teil 1

Tibet: Verschärfung der Kontrolle: Jahresbericht 1999

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie hat seinen Jahresbericht 1999 über die Menschenrechtslage in Tibet unter dem Titel "Tibet: Verschärfung der Kontrolle" herausgegeben. Es folgt eine Zusammenfassung dieses Berichts, sowie Empfehlungen an unsere Leser und Unterstützer.

Das Jahr 1999 sah die offizielle Begehung einiger politisch bedeutsamer Jahrestage, darunter das 50-jährige Jubiläum der Gründung der VR China und den 40. Jahrestag seit der "Befreiung" Tibets. Die chinesische Regierung nutzte diese Gelegenheiten, um ihrer Autorität und Legitimität noch mehr Gewicht zu verleihen, was zu weiteren Verletzungen der Menschenrechte des tibetischen Volkes führte.

Sowohl in Tibet als auch in China verschärfte der Staat seine Kontrolle in jedem Bereich der Gesellschaft, um seine Macht zu konsolidieren. Jeder Versuch, die Rechtmäßigkeit der Staatsgewalt infrage zu stellen, wurde erbarmungslos niedergeschlagen. Und dennoch gab es inmitten dieses eisernen Zugriffs einige Fälle von Aufbegehren gegen die Staatsmacht, angefangen von den Protesten der Mitglieder der Falun Gong Sekte in China bis zu dem fortgesetzten Widerstand der Tibeter. Auch in der internationalen Gemeinschaft gab es Empörung gegen die illegitime Besetzung Tibets und den Mißbrauch der Menschenrechte der Tibeter seit nunmehr 49 Jahren.

Die Vorbereitungen für dieses doppelte Jubiläum nahmen die Form einer verschärften Überwachung und repressiver Maßnahmen an. Die Jahrestage wurden daher eher zu einer Glorifizierung der Macht des Staates als zu einer Gelegenheit für die Menschen, ihre Freiheit auszuüben. Die drastische Unterdrückung einer friedlichen Demonstration in Kandze im Oktober führte zu der Festnahme von mindestens 80 Tibetern. Dieser Vorfall gibt ein Bild davon, wie wenig dem tibetischen Volk an Rede- und der Ausdrucksfreiheit zugestanden wird. Zusätzliche Informationen, die in diesem Jahr über die Gefängnisproteste vom Mai 1998 in Drapchi bekannt wurden, sind ebenfalls sehr besorgniserregend. Acht Gefangenen wurde die Haftstrafe bis zu 4 Jahren verlängert. Der Tod von zehn Tibetern infolge der Schießereien und der auf den Protest folgenden Folterungen wurde bestätigt. Die chinesische Regierung beansprucht, daß es in den letzten 4 Jahrzehnten unter der kommunistischen Herrschaft in der gesellschaftlichen Entwicklung und der Menschenrechtslage in Tibet "umwälzende" Fortschritte gegeben hätte. Sie schweigt jedoch zu der Tatsache, daß Tausende von Tibetern weiterhin alljährlich aus Tibet fliehen, um der Repressionspolitik Chinas zu entgehen. Auch in diesem Jahr flohen 2.474 Tibeter aus Tibet, darunter 1.115 Kinder unter 18 Jahren.

China fährt fort, die Menschenrechte des tibetischen Volkes in großem Maßstab zu verletzen. Grundlegende Aspekte der tibetischen Gesellschaft, wie Sprache und Religion gelten dem Staat als verdächtig und werden offiziell verdrängt. Die Ausübung des Rechtes auf freie Rede hat in Tibet willkürliche Festnahme und Haft zur Folge. Die Diskrepanz zwischen dem Lebensstandard von Tibetern und chinesischen Siedlern ist augenfällig. Die chinesische Politik der Bevölkerungsverlagerung bedroht ernstlich die tibetische Identität und den Zugang zu den Ressourcen des Landes.

Seit den friedlichen Demonstrationen in Lhasa Ende der 80er Jahre wurde die Dominanz der chinesischen Regierung in Tibet noch schlimmer. Die "Hart-Durchgreif" Kampagne, die 1996 eingeleitet wurde, führte zu weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen. Über 11.000 Mönche und Nonnen sind seitdem infolge der zahlreichen Einschränkungen im religiösen Leben, welche die sogenannten "Arbeitsteams" auferlegten, aus ihren Klöstern ausgewiesen worden. 1999 wurde diese Kampagne auch auf das übrige Volk ausgeweitet. Über 2.000 Tibeter fliehen jedes Jahr über den Himalaya, um diesen repressiven und diskriminierenden Maßnahmen zu entgehen.

Die Regierungen der Welt fahren, verlockt durch die von China in Aussicht gestellten wirtschaftlichen Aussichten fort, vor den Mächtigen in Peking zu kapitulieren. Die EU beschloß, bei der 55. UN Kommission für Menschenrechte einer Menschenrechtsresolution der USA keine Unterstützung zu verleihen, womit sie ihre Niederlage bekundete. Während des Staatsbesuches Jiang Zemins in England und Frankreich wurden staatlicherseits große Anstrengungen unternommen, damit der chinesische Staatsmann keine friedlichen Demonstranten zu Gesicht bekommen soll. Diese Besuche endeten mit einem Sieg für Wirtschaft und Handel, sowie mit Großaufträgen für britische und französische Unternehmen, sie bedeuteten jedoch eine Niederlage für die Menschenrechte.

Daß die Weltbank den "Armuts-Reduzierungs-Plan für Westchina" begünstigt, heißt, daß sich zum ersten Mal eine internationale Organisation an einem Projekt, das einen massiven Bevölkerungstransfer nach Tibet zum Gegenstand hat, beteiligt. Zwei ausländische Forscher und ein Tibeter wurden 1999 festgenommen, als sie versuchten dieses Projekt auszukundschaften. Die positiven Entwicklungen in der Weltpolitik 1999 schließen die Anerkennung von Bewegungen zur Selbstbestimmung ein. Die Intervention der internationalen Gemeinschaft in Kosovo und Osttimor zusammen mit der weltweiten Verurteilung der russischen Aggression in Tschetschenien stellen ein ermutigendes Signal für Tibet dar. Die Regierungen der Welt müssen unbedingt verstärkten Druck ausüben, wenn es für die Tibeter noch eine Hoffnung geben soll, daß sie ihre Grundfreiheiten und Menschenrechte wiederzugewinnen.

a)

Die Ausdrucksfreiheit

Die Existenz eines Rechtes auf Freiheit der Rede und der Meinungsäußerung erübrigt sich, wenn Menschen, welche dieses Recht ausüben wollen, grausam verfolgt werden. Die Äußerung irgendeiner Ansicht, die den politischen Richtlinien Chinas widerspricht, wird in Tibet als antinational erachtet und mit Festnahme und Gefängnis vergolten. Im Jahr 1999 wurden 115 Tibeter wegen der friedlichen Äußerung ihrer Meinung verhaftet. Die 1996 begonnene "Hart-Durchgreif" Kampagne verfolgt den Zweck, die Treue zum Dalai Lama und dem tibetischen Panchen Lama, sowie das tibetische Nationalgefühl auszurotten. Anfänglich auf die monastischen Institutionen beschränkt, wurde die Kampagne 1999 ausgeweitet, so daß sie nun die ganze tibetische Gesellschaft erfaßt. Im Januar 1999 startete China zusätzlich einen "Atheismus" Feldzug, der sich gegen das Recht der Tibeter auf freie Religionsausübung richtet. In der Kandze TAP, Provinz Sichuan, eröffnete die bewaffnete Volkspolizei (PAP) das Feuer auf annähernd 3.000 Tibeter, die einen friedlichen Protest abhielten. In der Folge wurden 80 Tibeter verhaftet; wie viele verletzt wurden, ist nicht bekannt.

b)

Willkürliche Verhaftung und Festhaltung

Alle Formen der Meinungsäußerung wider die Politik der Chinesischen Kommunistischen Partei geben in Tibet Anlaß zur Festnahme. In 1999 wurden 130 Tibeter willkürlich von der chinesischen Regierung festgenommen und inhaftiert. Die willkürliche Natur der Festnahmen wird sowohl von ihrem Anlaß als auch von der Mißachtung des verfahrensrechtlichen Schutzes reflektiert. Auch nach der Verhaftung geht die Verletzung der Rechte in der Untersuchungsphase weiter, in dem Fehlen eines fairen Prozesses und der Möglichkeit Berufung einzulegen. 1997 revidierte China sein Kriminalverfahrensgesetz. Diese Änderungen bleiben aber hinter dem internationalen Standard zurück und bieten keinerlei Rechtsschutz für Tibeter, die der "Gefährdung der Staatssicherheit" angeklagt sind.

c)

Politische Gefangene und Gewissensgefangene

Es gibt derzeit 615 dem TCHRD bekannte politische und Gewissensgefangene in Tibet, wovon 156 Frauen sind und 62 ein Urteil von 10 Jahren und darüber abzubüßen haben. 79% der politischen Gefangenen sind unseres Wissens nach Mönche und Nonnen. Die Chinesen überwachen die Informationen über Tibet äußerst streng, weshalb anzunehmen ist, daß diese Zahlen viel höher liegen.

Die chinesische Regierung fährt fort, den 10-jährigen Gedhun Choekyi Nyima, den 11. Panchen Lama Tibets, zusammen mit seiner Familie in Verwahrsam zu halten. Sein derzeitiger Zustand und Aufenthaltsort werden verschwiegen. Die chinesische Führung ignoriert hartnäckig Anfragen von ausländischen Regierungen und zuständigen Organisationen, die Zugang zu dem Kind, dem jüngsten Gewissensgefangenen der Erde, suchen, darunter auch eine der UN Hochkommissarin für Menschenrechte.

1999 bekamen wir weitere Informationen, daß die Gefangenen, die an den Protesten in Drapchi im Mai 1998 beteiligt waren, brutal geschlagen, in Einzelhaft gesteckt und mit Verlängerungen der Haftstrafe bis zu 4 Jahren belegt wurden. Mindestens 10 Tibeter kamen in den Tagen und Wochen nach dem Protest ums Leben. Acht politischen Gefangenen, darunter Ngawang Sangdrol, die nun eine Gesamtstrafe von 21 Jahren hat, wurden die Urteile verlängert. Prominente politische Gefangene wie Tanak Jigme Sangpo, Ngawang Choephel, Phuntsok Nyidron, Ngawang Phulchung, Jamphel Jangchub, Lobsang Tenzin, Phuntsok Wangdu, Gyaltsen Dolkar und Jigme Gyatso sind immer noch eingesperrt.

d)

Folter in Haftzentren und Gefängnissen

Die Häufigkeit, mit der zur Folter gegriffen wird, um den Widerstand individueller Personen zu brechen, ist alarmierend. Es gab Berichte über die Anwendung der Folter in fast jeder Phase der Gefangenhaltung: bei der anfänglichen Verhaftung, auf dem Weg zur Untersuchungshaft, während den Vernehmungen und schließlich in den Gefängnissen und Haftanstalten. Der weitverbreitete Gebrauch, den die Vertreter des Staates von der Folter machen, reduziert die chinesischen Nationalgesetze, welche Folter verbieten, zu einem heuchlerischem Papiergekritzel ohne reale Wirkung.

Die verschiedenen Foltermethoden sind: Schläge, Elektroschocks, Angriffe von abgerichteten Hunden, schmerzhafte Fesselung, Zwangsarbeit und Zwangsdrill, ausgedehnte Perioden der Einzelhaft, Entzug von Nahrung und Schlaf, sowie die Verweigerung angemessener medizinischer Behandlung.

Die chinesische Regierung ist ein Mitgliedstaat der Konvention gegen die Folter. Seit Unterzeichnung der Konvention in 1986 sind jedoch mindestens 69 Tibeter als eine direkte Folge von Mißhandlung durch die Vertreter der chinesischen Regierung ums Leben gekommen. 1999 starben, soweit wir erfuhren, sechs Tibeter durch Folterung. Das TCHRD erfuhr erst jetzt von vier weiteren Tibeter, die an den Folgen von Folterung in den Jahren davor gestorben sind.

e)

Religiöse Verfolgung

Da der Ausdruck des tibetischen Nationalismus eng mit der religiösen Praxis im Zusammenhang steht, greift die chinesische Regierung zur Religionsverfolgung als einem der Mittel, um ihn zu zertrümmern. Im Januar 1999 wurde eine 3-jährige "Atheismus-Kampagne", nach welcher der Buddhismus ein "fremdes" Element für Tibet darstellt, gestartet. Das Bekenntnis zu den religiösen Oberhäuptern Tibets, dem Dalai Lama und Panchen Lama, wird geächtet, die chinesische Regierung versucht, alle Aspekte religiöser Aktivität unter Kontrolle zu halten. Diese Politik erinnert an die Repression der Religion während der Kulturrevolution.

1999 wurden 1.432 Mönche und Nonnen einschließlich der 49, die wegen Widerstandes gegen die Umerziehung verhaftet wurden, aus ihren Klöstern ausgestoßen. 244 Novizen und Novizinnen unter 18 Jahren wurden 1999 aus ihren religiösen Institutionen hinausgeworfen. Seit dem Beginn der "Hart-Durchgreif" Kampagne im April 1996 hat das TCHRD 11.409 Ausweisungen und 541 Festnahmen von Mönchen und Nonnen verzeichnet. Nach chinesischen Statistiken macht diese Zahl ein Drittel aller Mönche und Nonnen Tibets aus. Seit 1996 wurden 261 Klöster dem Umerziehungsprogramm unterworfen. Weitere Eingriffe in die religiöse Freiheit erfolgen von Seiten der "Demokratischen Verwaltungskomitees" und der lokalen Büros für Religionsangelegenheiten. Diese Ämter haben Autorität über alle Aktivitäten in den Klöstern. Unter dem Vorwand der Überwachung werden Beschränkungen hinsichtlich des Alters von Mönchen und Nonnen auferlegt, was zum Zweck hat, die Mönchsgemeinschaft zu verringern.

f)

Frauen und Geburtenkontrolle

Obwohl die Rechte tibetischer Frauen sowohl von dem nationalen als auch dem internationalen Recht geschützt werden, fährt die chinesische Regierung fort, diese Rechte mit Füßen zu treten. Unter Mißachtung der Gesetzgebung, die Zugeständnisse für Minoritäten garantiert, wird die zwangsweise Familienplanung in Tibet weiter vorangetrieben. Tibetische Frauen werden Zwangsabtreibungen, Kontrazeption und Serilisierungen unterworfen. Sogenannte "unauthorisierte" Schwangerschaften ziehen Geldstrafen, Einschüchterung und den Verlust von Vergünstigungen, darunter auch das Recht auf Erziehung und Beschäftigung der Kinder nach sich. Es gab 1999 bestätigte Berichte, daß schwangere tibetische Frauen nach der Zwangssterilisierung starben. Die Maßnahmen der Chinesen zur Geburtenkontrolle haben die Verminderung der tibetischen Bevölkerung zum Ziel.

g)

Die Rechte des Kindes

In Mißachtung ihrer vertraglichen Verpflichtungen verletzt die chinesische Regierung konsistent die Rechte der tibetischen Kinder. Als eine Folge des Zustroms der Chinesen nach Tibet werden die tibetische Sprache und das tibetische Brauchtum allmählich überflüssig. Die tibetischen Kinder werden ihrer kulturellen Rechte beraubt, was langfristig die Verwässerung des distinktiven Charakters der tibetischen Identität zur Folge hat. Der Zweck der Verweigerung der Rechte von Kindern auf lange Sicht ist auch, daß eine "diszipliniertere" und besser assimilierte Generation von Bürgern herangezogen werden soll, die garantiert, daß der tibetische Widerstand keine Zukunft mehr besitzt. Tibetische Eltern stehen also vor der Wahl, ob sie ihre Kinder in die neue chinesische Gesellschaft integrieren oder sie im Hinblick auf eine tibetische Erziehung nach Indien schicken wollen. Sie sehen sich immer mehr dazu gezwungen, ihre Kinder auf diese gefährliche Reise ins Exil zu entlassen. In 1999 trafen 1.115 Kinder unter 18 Jahren in Indien ein, die Erziehung in tibetischen Schulen begehren.

Tibetischen Kindern wird das Recht auf Ausdrucks- und Meinungsfreiheit verweigert. Es gibt derzeit mindestens zwei minderjährige politische Gefangene in Tibet, während 21 andere als Kinder eingesperrt wurden, aber inzwischen erwachsen geworden sind. Tibetischen Kindern wird auch ihr garantiertes Recht auf Religionsfreiheit verweigert. In 1999 wurden 244 junge Mönche und Nonnen aus ihren religiösen Institutionen vertrieben, weil sie nicht der vorgeschriebenen Altersgrenze entsprachen.

h)

Bevölkerungstransfer

Der Zuzug von Chinesen nach Tibet stellt die ernsteste Bedrohung für das Überleben des tibetischen Volkes und seiner Kultur dar. Bevölkerungsstatistiken zufolge wird geschätzt, daß es bereits mehr Chinesen als Tibeter in Tibet gibt. Tibeter werden in allen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens marginalisiert. Verbunden mit der repressiven Geburtenkontrolle macht dies klar, daß die Chinesen beabsichtigen, die Tibeter zu einer bedeutungslosen Minderheit in ihrem eigenen Land zu reduzieren.

Das teilweise von der Weltbank finanzierte "Westchina-Projekt zur Reduzierung der Armut" wird, wenn es zur Durchführung gelangt, den Anteil von Tibetern in dem Distrikt Dulan von 22% auf 14% der Gesamtbevölkerung vermindern.

i)

Verletzung des Rechtes auf Lebensunterhalt

Trotz der Beteuerungen der chinesischen Regierung über das bedeutende wirtschaftliche Wachstum in Tibet lassen die uns zugegangenen Berichte schließen, daß diese "Errungenschaften" hauptsächlich den chinesischen Neusiedlern zugute kommen. Nach den jüngsten Daten der UNO über Entwicklungsprogramme nimmt Tibet auf der Entwicklungsskala unter 160 Ländern einen Platz irgendwo zwischen Nummer 131 und 153 ein. Repressive und ungleiche landwirtschaftliche Besteuerungsschemen verschlimmern noch mehr die Armutslage der tibetischen Hirten und Bauern. Die den Lokalbehörden gegebene unkontrollierte Vollmacht führt weiterhin zur Verletzung der Rechte des tibetischen Volkes, so daß es viele Fälle gibt, wo statt der Steuern Zwangsarbeit gefordert wird. Die meisten der mit einem Wohlfahrtsstaat verbundenen Grundrechte wie das Recht auf Wohnung und Gesundheit bleiben unerfüllt.

k)

Verschwinden von Personen

In 1999 bekam das TCHRD Hinweise auf 16 neue Fälle von plötzlichem Verschwinden von Personen in Tibet. Von den 12 in 1998 berichteten Fällen liegen die Umstände und der Verbleib von dreien immer noch im Dunkeln. Die chinesische Regierung fährt fort, Tibeter über lange Zeiträume an unbekanntem Ort festzuhalten. Den Angehörigen dieser Opfer werden keine Informationen über ihren Verbleib geliefert. Der Zustand und der Aufenthaltsort von Gedhun Choekyi Nyima, dem 11. Panchen Lama Tibets, und seiner Familie sind weiterhin unbekannt.

l)

Rassendiskriminierung

Obwohl China der Internationalen Konvention gegen die Ausrottung aller Formen von Rassendiskriminierung beitrat, wird weiterhin gegen die Tibeter diskriminiert. Der entscheidende Faktor ist der Mangel an echter politischer Repräsentation, welcher dem tibetischen Volk die Möglichkeit nimmt, sich gegen die diskriminierenden Maßnahmen in Erziehung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnungswesen zu wehren. Die Transferierung chinesischer Bevölkerung und wirtschaftliche Lockmittel für Chinesen in Tibet verschlimmern diese Lage noch mehr. Das tibetische Volk wird allmählich zu einer neuen sozialen Unterklasse in seinem eigenen Land.

m)

Empfehlungen

Das Beweismaterial, welches das TCHRD in vergangenen Jahren zusammentrug, läßt erkennen, daß China 1999 seine Kontrolle über Tibet noch angezogen hat. Das führte zu der weiteren Verletzung der Rechte des tibetischen Volkes in jeder Hinsicht und jedem Sektor der Gesellschaft, wie aus diesem Report hervorgeht. Wir ersuchen die Internationale Gemeinschaft, die chinesische Regierung und die Vereinten Nationen, dringend folgende Empfehlungen zu beachten:

  • Darauf hinzuwirken, daß China den ICCPR (Internationaler Vertrag über zivile und politische Rechte) und den ICESCR (Internationaler Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) ratifiziert und sofortig Schritte unternimmt, um die darin niedergelegten Normen in seine nationale Gesetzgebung zu integrieren.
  • Angesichts der häufigen Fälle von gewaltsamem Verschwinden und Entführung drängen wir die UN Menschenrechtskommission, eine Arbeitsgruppe zur Untersuchung der Fälle von Verschwinden in Tibet einzurichten.
  • Wir bitten eindringlich den UN Ausschuß für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, von der chinesischen Regierung einen Bericht über die Wahrung des "Rechtes auf Lebensunterhalt" zu fordern und die tatsächliche Lage, wie sie von einigen NGOs beschrieben wird, an den von dem ICESCR Komitee aufgestellten Normen zu messen.
  • Wir unterstützen das vorgeschlagene fakultative Protokoll an die CEDAW (Konvention zur Ausschaltung aller Formen von Diskriminierung der Frauen), weil es ein individuelles Petitionsrecht vorsieht, wodurch Frauen, denen Gewalt angetan wurde, eine letzte Chance bekommen, sich an ein internationales Menschenrechtsgremium um Hilfe zu wenden.
  • Wir bitten dringend den Sonderbeauftragten für Folter, der im Jahr 2000 China einen Besuch abstatten wird, besonders auf die Lage in Tibet zu achten. Wir ersuchen auch China, mit ihm zu kooperieren und ihm ungehinderten Zugang zu der notwendigen Information zu gewähren.
  • Wir ersuchen die Weltbank, die 40-Mio-Dollar Komponente der Anleihe im Zusammenhang mit dem "Westlichen Armuts-Reduzierungs-Projekt" nicht zu billigen, weil es eine massive Transferierung von Chinesen nach Dulan beinhaltet, was sich negativ auf die tibetische Identität auswirken würde. Weiterhin bitten wir die Weltbank und alle anderen Organisationen, keine Projekte mehr zu finanzieren, die eine Bevölkerungsverlagerung zum Inhalt haben.
  • Basierend auf den Empfehlungen des Sonderbeauftragten für Religiöse Intoleranz in bezug auf Folgebesuche an den Orten der Untersuchung ist es unsere Bitte, daß der Sonderbeauftragte, der zuletzt 1994 China und Tibet besuchte, sich wieder dorthin begebe, um das Ausmaß der Verletzung der religiösen Rechte in Tibet zu erkunden.
  • Wir bitten den Sonderbeauftragten für Rassismus, Rassendiskriminierung und Fremdenhaß, Tibet zu besuchen und die Politik der chinesischen Regierung auf den Gebieten der Erziehung, Beschäftigung, öffentlichen Vertretung, Gesundheit und Hygiene zu prüfen, in denen allen gegen das tibetische Volk diskriminiert wird.
  • Wir verlangen, daß die chinesische Regierung das Ausmaß und die Reichweite des Begriffs "Gefährdung der Staatssicherheit" in ihrem Kriminalverfahrensgesetz klärt, denn in seiner gegenwärtigen zweideutigen Form wird er zur Unterdrückung einer ganzen Reihe von Rechten, darunter auch des Rechtes auf Rede- und Meinungsfreiheit, herangezogen.
  • Wir verlangen nachdrücklich die Freilassung aller politischen Gefangenen durch die chinesische Regierung, einschließlich jener, die wegen der Ausübung ihres Rechtes auf Rede- und Ausdrucksfreiheit hinter Gitter gesetzt wurden.
  • Unter Verstoß gegen alle internationalen Normen über die Rechte des Kindes, hält die chinesische Regierung Gedhun Choekyi Nyima, den jüngsten Gewissensgefangenen der Erde und 11. Panchen Lama Tibets, seit Mai 1995 in Gewahrsam. Wir fordern seine sofortige Freilassung.
  • Wir ersuchen dringend die chinesische Regierung, Schritte zu unternehmen, damit der Prostitution in Tibet durch strenge Beachtung der Gesetze, welche Prostitution als illegal erklären, Einhalt geboten wird.
  • Wir drängen die chinesische Regierung, eine durchsichtigere Steuerpolitik, besonders in den ländlichen Gegenden Tibets, zu betreiben, damit es keinen Machtmißbrauch durch die lokalen Behörden mehr gibt.

Teil 2

Besorgnis um die Gesundheit von Phuntsok Nyidron

Die 30-jährige Nonne Phuntsok Nyidron leidet an hohem Blutdruck, begleitet von akuten Herzproblemen und einem plötzlichen Bewußtseinsverlust. Ihr Cousin Pasang, der im Dezember Dharamsala erreichte, berichtet, daß "ihre Gesundheit in Gefahr ist und sofortige medizinische Behandlung außerhalb des Gefängnisses erfordert". Nyidron, eine Nonne des Klosters Michungri, hat eine Freiheitsstrafe von 17 Jahren zu leisten. Phuntsok Nyidron, die aus dem Dorf Yardrong der Gemeinde Gyachoe in dem Kreis Phenpo Lhundrup stammt, empfing 1995 den Reebok Menschenrechtspreis. Sie wurde 1968 geboren und trat mit 11 Jahren in Michungri ein. Am 14. Oktober 1989 führte Nydiron eine friedliche Demonstration am Barkhor und rief nach dem Ende der chinesischen Besetzung Tibets. Daraufhin wurde sie zu 9 Jahren Gefängnis verurteilt und kam nach Drapchi. Ihre jüngere Schwester, Yeshi Dawa, die ebenfalls Nonne in Michungri war, wurde nach Nyidrons Verhaftung aus dem Kloster geworfen. Im vierten Jahr ihrer Gefangenschaft nahm sie zusammen mit 13 anderen Nonnen für Freunde und Verwandte im Gefängnis Botschaften und Lieder auf ein Tonband auf. Daraufhin erfuhr sie eine Urteilsverlängerung um 8 Jahre. 1994, als ihr Bruder starb, erlaubte man ihr für eine Stunde das Gefängnis zu verlassen, um bei dem Bestattungsritus zugegen zu sein. Der Protest im Drapchi Gefängnis vom Mai wurde durch einen brutalen Gegenschlag der staatlichen Aufseher niedergeschlagen. Die Gefangenen wurden mißhandelt, in ihre Zellen gesperrt, den Verwundeten wurde die ärztliche Hilfe verweigert und das Essen wurde schlechter. Neun Monate lang durfte Nyidron keine Besuche empfangen. Wegen der Sorge um ihre Tochter war ihre Mutter lange Zeit hospitalisiert.

Teil 3

Urteilsverlängerung für acht politische Gefangene

Informationen aus Tibet zufolge wurde acht tibetischen politischen Gefangenen infolge der Proteste im Drapchi Gefängnis vom 1. und 4. Mai 1998 die Haftstrafe verlängert, während zwei Gefangene seitdem verschwunden sind. Das TCHRD erhielt bestätigte Nachricht, daß der Mittlere Volksgerichtshof von Lhasa die Urteile von acht politischen Gefangenen, Ngawang Sangdrol, Phuntsok Rigchog, Ngawang Ngonkyen, Lhasang, Passang, Norbu Phuntsok, Wangdu und Choeky Wangmo im Oktober 1998 verlängerte. Weiterhin wurde bekannt, daß zwei politische Gefangene, Lobsang Lungtok und Phuntsok Wangchuk, seit Juli 1998 aus ihren Gefängniszellen in der Einheit 5 verschwunden sind. Nach ihrer Beteiligung an den Protesten wurden sie über 14 Monate ohne Verbindung zur Außenwelt gelassen. Phuntsok Wangdu ist ein 23-jähriger ehemaliger Mittelschüler aus dem Dorf Tsethang, Kreis Nedong. Ursprünglich aus der Präfektur Lhoka stammend, wurde er im Juni 1994 verhaftet, weil er um das Dorf Chongyas herum Plakate angebracht hatte, und zu 5 Jahren Gefangenschaft verurteilt. Lungtok ist ein 26-jähriger Mönch aus Gaden. Er wurde am 20. März 1992 verhaftet und war zu 7 Jahren verurteilt worden. Der jetzige Aufenthaltsort beider ist unbekannt.

In einer schrecklichen Demonstration ihrer Macht eröffneten die chinesischen Besatzer im Mai 1998 das Feuer auf Gefangene, die friedlich in Drapchi protestierten. Am 1. Mai wurden alle Gefangenen zu einer Flaggen-Zeremonie anläßlich der Begehung des Internationalen Tages der Arbeit gerufen. Insgesamt 900 Gefangene waren versammelt, welche die chinesische Nationalhymne und Loblieder auf den Sozialismus singen mußten. Während die chinesische Flagge gehißt wurde, warf ein nichtpolitischer Gefangener ein Bündel Flugblätter in die Luft. Sogleich folgten die politischen Gefangenen mit dem Rufen von Parolen, worauf die Feier aufflog. Am 4. Mai wurde eine ähnliche Funktion zur Begehung des Jugendtages angesetzt. Der Flaggenappell wurde von einem Mönch namens Lobsang Geleg unterbrochen, der plötzlich Parolen rief. Danach trieb die PAP alle Gefangenen in ihre Zellen zurück. Einige der anderen, welche den Tumult hörten, begannen zu schreien und gegen die Tore zu stürmen. Ein Aufseher schoß auf Ngawang Sungrab, einen Mönch des Drepung Klosters, der eine 10-jährige Strafe verbüßte.

Fünf Monate nach dem Vorfall gaben die Chinesen zu, daß es zwar eine Schießerei gegeben hätte, aber die Gefängniswachen hätten nur "in die Luft geschossen". Die Rede ist von zehn Toten als Folge der Proteste im Drapchi Gefängnis. Zwei von ihnen wurden erschossen und acht weitere wurden zu Tode gefoltert, weil sie mitprotestiert hatten. Mindestens 60 Gefangene erlitten schwere Verletzungen, und zahlreiche andere wurden grausam gefoltert. Ein ehemaliger Drapchi Insasse, der bei diesem Vorfall zugegen war, berichtet: "Am Abend desselben Tages drangen 12 Wachen in jede Zelle und schlugen die Gefangenen erbarmungslos. Ngawang Dorjee, 22, und Dawa, 23, wurden aus ihren Zellen gezerrt und zwei Stunden lang gequält. Danach griffen die Wachen Thupten Kalsang, 25, einen Mönch aus Phenpo Gonsar Kloster, an und schlugen eine halbe Stunde lang auf ihn ein. Am nächsten Morgen wurde er noch einmal aus seiner Zelle geholt und wieder schwer mißhandelt. Als er zurückkam, mußte er sich an der Wand festhalten. Andere Gefangene durften ihm nicht helfen. Später wurde er aus medizinischen Gründen entlassen und befindet sich nun in kritischem Zustand bei seiner Familie."

Die folgenden politischen Gefangenen wurden im Oktober 1998 von dem Mittleren Volksgericht in Lhasa wegen ihrer Beteiligung an den Protesten mit einer Verlängerung ihrer Haft bestraft: Ngawang Sangdrol, die eine 17-jährige Strafe hatte, erfuhr die dritte Verlängerung, nun sind es insgesamt 21 Jahre. Sie ist die politische Gefangene in Tibet mit der längsten Freiheitsstrafe. Ihr Urteil wurde diesmal um 4 Jahre verlängert, nachdem es bereits im Oktober 1993 und Juli 1996 verlängert worden war. Die 1977 geborene und nun 22-jährige Ngawang Sangdrol ist aus dem Kloster Garu. 1987 wurde sie mit nur 10 Jahren verhaftet und damals 15 Tage festgehalten. 1990, im Alter von 13 Jahren, demonstrierte sie wieder und wurde 9 Monate ohne Anklage festgehalten. Ihre derzeitige Haftstrafe begann im Juni 1992, als sie zu drei Jahren verurteilt wurde, weil sie zusammen mit anderen Nonnen in Lhasa zu demonstrieren versuchte. Phuntsok Rigchog, mit Laienname Migmar, ist ein 37-jähriger Mönch aus Tashi Gang Kloster in dem Ort Nyethang, Kreis Chushul der Präfektur Lhasa. Im Mai 1994 wurden Rigchog und 6 andere Mönche desselben Klosters verhaftet, weil sie friedlich in der Barkhor Gegend von Lhasa demonstrierten. Die Mönche wurden in die Gutsa Haftanstalt gesteckt, bis ihre Urteile gefällt wurden. Im November 1994 verurteilte der Mittlere Volksgerichtshof von Lhasa Rigchog zu 6 Jahren, wonach er nach Drapchi kam. Nach den Vorfällen vom Mai 1998 wurde sein Urteil um vier Jahre verlängert. Er hat nun im ganzen 10 Jahre und wird voraussichtlich 2004 entlassen. Ngawang Ngonkyen, mit Laienname Kalsang Phuntsok, ist ein 24-jähriger Mönch aus Kloster Tashi Gang, der im Februar 1994 verhaftet wurde. Ein Jahr und 10 Monate lang war er in der Gutsa Haftanstalt, ehe er im Januar 1996 zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Danach kam er nach Drapchi. Im Mai 1998, als er mitprotestierte, wurde sein Urteil um 4 Jahre verlängert, im ganzen auf 10 Jahre. Lhasang, ein 23-jähriger Mönch aus dem Kloster Phonpo Gonsar, bekam auch 4 Jahre aufgebrummt. Er wurde ursprünglich 1995 aus politischen Gründen zu 5 Jahren verurteilt, somit sind es nun im ganzen 9 Jahre.

Passang, ein 22-jähriger Mönch aus dem Kloster Taglung in dem Kreis Phenpo Lhundrup, wurde ursprünglich aus politischen Gründen zu 5 Jahren verurteilt. Nach den Drapchi Protesten bekam er weitere 3 Jahre, womit er nun im ganzen 8 Jahre Gefängnis hat. Norbu Phuntsok, 22, aus dem Kloster Taglung in Kreis Phenpo Lhundrup, erfuhr auch eine 3-jährigere Verlängerung wegen seines Mitmachens bei den Protesten in Drapchi. Er wurde 1995 verhaftet und zu 5 Jahren verurteilt, womit er nun ein Gesamturteil von 8 Jahren hat. Wangdu, ein 24-jähriger Mönch dem Kloster Dechen Sangak in Kreis Taktse, wurde im Dezember 1994 aus politischen Verdachtsgründen verhaftet und zu 4 Jahren verurteilt. Sein Urteil wurde wegen der Drapchi Proteste um 4 Jahre vermehrt. Derzeit hat er also ein 8-Jahre Urteil abzubüßen. Choekyi Wangmo, eine 23-jährige Nonne aus dem Kloster Sharbumba in Kreis Phenpo Lhundrup, sah ihr Urteil um eineinhalb Jahre vermehrt. Sie wurde 1993 zu 5 Jahren verurteilt, weil sie friedlich in Lhasa demonstriert hatte. Sie verbüßt nun insgesamt sechseinhalb Jahre in Drapchi.

Früher in diesem Jahr ging uns die falsche Nachricht zu, daß Choekyi Wangmo gestorben sei. Jüngsten Berichten zufolge ist sie zwar am Leben, aber in kritischem Zustand. Bis heute hat sie sich nicht von den Verletzungen während der Vernehmung in Gutsa erholt. Durch den Vorfall von Drapchi wurde ihr Zustand noch schlimmer. Einem ehemaligen Insassen von Drapchi zufolge "gibt es wenig Hoffnung, daß Wangmo im Gefängnis genesen wird, weil keine Ärzte dorthin kommen. Nur in seltensten Fällen erhalten die Gefangenen medizinische Behandlung".

Teil 4

Ngawang Choephels Verhaftung ist ein Fall willkürlicher Festhaltung

Die Arbeitsgruppe der UN Menschenrechtskommission für Willkürliche Festhaltung erklärte, daß die Gefangensetzung von Ngawang Choephel durch die chinesische Regierung willkürlich ist und eine Übertretung des Art. 19 der Universellen Deklaration der Menschenrechte darstellt.

Ngawang Choephel, ein tibetischer Musiker und Fulbright Stipendiat aus Indien, reiste im Juli 1995 nach Tibet, um die traditionelle tibetische Musik zu erforschen. Er verschwand plötzlich. Die Chinesen bestätigten im Mai 1998, daß er am 6. September 1995 vor Gericht gestellt und am 13. November 1996 wegen Spionage zu 15 Jahren und wegen "konterrvolutionärer" Aktivitäten zu weiteren 3 Jahren verurteilt wurde. Der Prozeß fand hinter geschlossenen Türen statt, weil es um "Staatsgeheimnisse" ging. Auf eine Berufung Choephels hin wurde das Urteil von dem Höheren Volksgericht der TAR nur bestätigt. Ngawang Choephels Festhaltung gab Anlaß zu einer Menge internationaler Proteste verschiedener Menschenrechtsgruppierungen, sein Fall wurde auch der UNO unterbreitet. Die UN Arbeitsgruppe für Willkürliche Festhaltung stuft Freiheitsberaubung in folgenden Fällen als willkürlich ein:

  • wenn sie auf keiner legalen Grundlage gerechtfertigt werden kann,
  • wenn sie das Resultat einer Verurteillung wegen der Ausübung der in der UDHR (Universal Declaration of Human Rights) sowie im ICCPR (International Covenant on Civil and Political Rights) verankerten Rechte, wie des Rechts auf Rede- und Ausdrucksfreiheit, ist.
  • wenn die verfahrensrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich eines fairen Prozesses mißachtet werden.

Im Fall Ngawang Choephel kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluß, daß die chinesische Regierung bei ihrer Anklageerhebung gegen ihn gar keinen ausgesprochenen Bezug auf einen Artikel ihres Kriminalkodexes über Verstöße gegen die Staatssicherheit genommen hat. In einem früheren Bericht über ihren Besuch in China stellte die Gruppe bereits fest: "Es sei denn, die Anwendung dieses Deliktes ist auf klar definierte Bereiche und unter klar definierten Umständen beschränkt, besteht ein ernstes Risiko des Mißbrauches". Die Gruppe meint, daß in dem Fall von Ngawang Choephel ganz deutlich solch ein Mißbrauch vorliegt. Die Regierung spezifizierte nicht die Art der Tätigkeiten, deretwegen er angeklagt wurde, abgesehen von der Tatsache, daß er Volkslieder sammelte. Sie hatte auch überhaupt keinen Beweis zur Erhärtung ihrer Anklage auf Spionage vorgebracht. Angesichts dieser vagen Anklage, des Fehlens eines echten Beweises und der Leugnung seines Rechtes auf ein faires Verfahren kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluß, daß "der Entzug der Freiheit von Ngawang Choephel willkürlicher Art ist, insofern er im Widerspruch zu dem Art. 19 der UDHR steht, welchem zufolge die freie Meinungsäußerung auch die Freiheit einschließt, Meinungen unangefochten zu vertreten und wie in dem vorliegenden Fall Informationen und Ideen zu empfangen und auf jedem Wege und ungeachtet irgendwelcher Grenzen zu verbreiten; und weil er somit in die zweite der Kategorien fällt, unter welchen ein der Arbeitsgruppe vorgelegter Fall Aufmerksamkeit verdient". Die Arbeitsgruppe fordert die chinesische Regierung auf, die notwendigen Schritte zur Berichtigung der Lage zu unternehmen.

Teil 5

Verlängerung der Haftstrafe eines Mönches auf die Drapchi Proteste hin

Phuntsok Rigchog, Laienname Migmar, ist ein 37-jähriger Mönch aus dem Ort Nyethang in Kreis Chushul. Mit 8 Jahren kam er in die Volksschule von Nyethang, die er 4 Jahre lang besuchte. 1988 wurde er Mönch in dem Kloster Tashi Gang von Nyethang. Dort studierte er religiöse Texte und arbeitete gleichzeitig als Schatzmeister des Klosters bis 1992. Er war auch der Ökonom des Klosters und für die Versorgung der Mönche zuständig. Tashi Gang wurde während der Kulturrevolution zerstört. 1985 wurde es von einigen alten Mönchen und der Lokalbevölkerung mit Hilfe der Zuwendung eines Touristen wieder aufgebaut. Phuntsok Rigchog war einer der ersten Mönche in dem kleinen Kloster von nur 10 Insassen. Am Morgen des 30. Mai planten zwei Mönche, Sonam Tsering und Tsering Dorjee, eine Demonstration in Lhasa. Später kamen noch Phuntsok und drei weitere Mönche dazu. Sie konnten jedoch keine Plakate und Flaggen beschaffen. Um 11 Uhr starteten sie nach Lhasa. Als sie dort am Nachmittag ankamen, fanden sie viel Polizei in der Stadt patrouillieren. Das vereitelte ihren Plan, an diesem Tag zu demonstrieren. Sie verbrachten die Nacht im Haus eines Freundes. Am folgenden Tag hielten Phuntsok und seine 5 Kameraden dann ihren Protest vor dem Jokhang Tempel, wo sie Parolen wie "Free Tibet, Tibet ist frei, Lang lebe Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, China raus aus Tibet" zu rufen begannen. Nur fünf Minuten später verhaftete das PSB-Personal von Lhasa die Mönche und warf sie in ein Panzerfahrzeug. Schon auf der Fahrt wurden sie von den PSB Leuten verschlagen. Dann kamen sie nach Gutsa, wo sie einzeln vernommen wurden. In den vier Monaten Untersuchungshaft in Gutsa durften sie keinen Besuch ihrer Angehörigen erhalten. Am 11. November 1994 sprach das Mittlere Volksgericht Lhasa das Urteil über die 5 Mönche. Der sechste, Migmar, war erst 14 Jahre alt und wurde deshalb nicht vor Gericht gestellt. Phuntsok Rigchog wurde zu 6 Jahren Gefängnis und 2 Jahren Entzug der politischen Rechte verurteilt. Ngawang Tsangpa, 31, zu 6 Jahren und 3 Jahren Entzug der politischen Rechte, Phuntsok Soeldrang, 18, und Thupten Choekyi Gyurme, 17, wurden beide zu 2 Jahren Gefangenschaft und Verlust der politischen Recht für ein Jahr verurteilt, Phuntsok Trimden, 19, zu vier Jahren und einem Jahr Entzug der politischen Rechte. 10 Tage später kamen sie in das Drapchi Gefängnis. Als der jüngste Mönch Migmar 15 Jahre alt wurde, wurde auch er zu 3 Jahren "Reform-durch-Arbeit" in Trisam abkommandiert.

Während Phuntsok 1996 als Koch in Drapchi arbeitete, gab er einem neuen Gefangenen außerhalb der Gefängnis-Mahlzeiten etwas zu essen. Das wurde von einem Gefängniswärter gesehen, der nun Phuntsok schwer schlug. Seinen Job als Koch verlor er sofort. Phuntsok gehörte auch zu denen, die im Mai 1998 in Drapchi protestierten. Er wurde als Strafe für seine Beteiligung in Einzelhaft gesteckt. Er und viele andere Gefangene wurden entsetzlich mit Eisenstangen, Stöcken, Bajonetten und Elektroschocks mißhandelt. In den nächsten sechs Monaten war es Phuntsok verboten, Besucher zu sehen. Im Oktober 1998 wurde Phuntsoks Urteil um zusätzliche 4 Jahre vermehrt, was sein Gesamturteil nun auf 10 Jahre erhöht. Falls er nicht nochmals eine Verlängerung erfährt, steht seine Entlassung 2004 bevor.

nach oben