8. Juli 2009



World Tibet News, www.tibet.ca

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Die wahre Geschichte des Aufstandes der Uighuren

Durch das brutale Vorgehen der chinesischen Polizei wurde aus einer friedlichen Versammlung ein Blutbad

von Rebiya Kadeer, der Präsidentin des Weltkongresses der Uighuren

Rückblickend auf ihren Umgang mit den Unruhen in Ürümqi und Ost-Turkestan diese Woche wird die chinesische Regierung der Welt vermutlich erzählen, daß sie im Interesse der Aufrechterhaltung der Stabilität handelte. Gewiß wird sie nicht sagen, warum Tausende von Uighuren alles aufs Spiel setzten, um ihre Stimme gegen die Ungerechtigkeit zu erheben, unter der sie leiden, oder warum Hunderte von ihnen jetzt tot sind, weil sie von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machten.

Am Sonntag organisierten Studenten einen Protestmarsch in Döng Körük (Erdaoqiao), einem Stadtviertel von Ürümqi. Sie wollten ihrer Empörung über das tatenlose Zusehen der chinesischen Behörden zum Ausdruck bringen, als in einer Spielzeugfabrik in Shaoguan in der südchinesischen Provinz Guangdong Uighuren von einem Mob von Han-Chinesen angegriffen und zwei von ihnen getötet wurden. Ebenso wollten sie ihre Solidarität mit den Familien der Umgekommenen und Verletzten bekunden.

Eine anfänglich friedliche Kundgebung artete in Gewalttätigkeiten aus, als einige Elemente aus der Menge heraus auf das scharfe Vorgehen der Polizei heftig reagierten. Ich verurteile entschieden die Anwendung von Gewalt durch Uighuren während der Demonstration, ebenso wie ich den exzessiven Gewalteinsatz Chinas gegen die Protestierenden verurteile.

Wang Lequan, der Parteisekretär der Autonomen Uighurischen Region Xinjiang (XUAR), hat mir die Schuld für die Unruhen in die Schuhe geschoben. Aber die Uighuren werden seit Jahren von China unterdrückt – immer wieder bestätigt sich, daß die chinesischen Amtsträger kein Interesse an der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit haben –, und das ist die wahre Ursache für die Unzufriedenheit und Verbitterung der Uighuren.

Chinas brutale Reaktion auf die Proteste vom Sonntag wird diese Haltung nur noch verstärken. Quellen aus Ost-Turkestan berichten, daß durch die Schüsse und Mißhandlungen der Polizeitruppen 400 Uighuren ums Leben kamen. Über die Zahl der Verletzten gibt es keine genauen Zahlen.

Es wurde eine Ausgangssperre verhängt, die Telefonverbindungen wurden unterbrochen und die Lage in der Stadt bleibt angespannt. Uighuren berichteten mir, daß die chinesischen Sicherheitskräfte jetzt von Haus zu Haus gehen und ihre Wohnungen durchsuchen und dabei männliche Personen festnehmen. Die Uighuren haben Angst, sich auf den Straßen der Hauptstadt ihres eigenen Landes zu bewegen.

Die Unruhen weiten sich aus. Die Städte Kashgar, Yarkand, Aksu, Khotan und Karamay könnten auch betroffen sein, obwohl man angesichts der staatlichen von Propaganda geprägten Berichterstattung keine genauen Aussagen machen kann. Am schlimmsten war es in Kashgar, wo unbestätigten Berichten zufolge über 100 Uighuren ums Leben gekommen sein sollen. Truppen besetzten die Stadt, und dortige Quellen sagen, daß vor jedem uighurischen Haus zwei chinesische Soldaten positioniert wurden.

Die jüngste Repression der Uighuren hat einen rassistischen Zug angenommen. Bekanntlich ermutigt die chinesische Regierung die Tendenz zum Nationalismus unter den Han-Chinesen, weil sie bemüht ist, die bankrotte kommunistische Ideologie, auf die sie sich bisher stützte, zu ersetzen. Dieser Nationalismus wurde deutlich, als der han-chinesische Mob uighurische Arbeiter in Shagouan angriff.

Die offizielle Begünstigung eines reaktionären Nationalismus unter den Han-Chinesen erschwert den Weg in Zukunft ungemein. Der Weltkongreß der Uighuren, dem ich vorstehe, tritt ebenso wie der Dalai Lama und die tibetische Freiheitsbewegung für Herbeiführung von Selbstbestimmung auf friedlichem Wege mit echtem Respekt für Menschenrechte und Demokratie ein. Han-Chinesen und Uighuren sollten auf der Basis von Vertrauen, gegenseitiger Achtung und Gleichrangigkeit Gespräche miteinander führen. Unter der jetzigen chinesischen Regierungspolitik ist das leider nicht möglich.

Um etwas zur Verbesserung der sich stetig verschlechternden Lage in Ost-Turkestan zu tun, müßte die chinesische Regierung in erster Linie die Vorfälle von Shaoguan gebührend untersuchen und diejenigen, die am Tod der Uighuren schuldig sind, vor Gericht stellen. Eine unabhängige und offene Untersuchung der Unruhen von Ürümqi sollte ebenfalls durchgeführt werden, damit Han-Chinesen und Uighuren die Gründe für die Ereignisse vom Sonntag begreifen und sich um gegenseitiges Verständnis bemühen.

Die Vereinigten Staaten sollten bei diesem Prozeß eine Hauptrolle übernehmen. Sie haben sich immer für die Unterdrückten ausgesprochen, weshalb sie auch wegen des Falles der Uighuren bei der chinesischen Regierung vorstellig geworden sind. In diesem kritischen Augenblick müßten die Vereinigten Staaten die Gewalt in Ürümqi verurteilen und sollten dort ein Konsulat eröffnen. Ein Konsulat kann in einem Umfeld heftiger Repression zu einem Richtfeuer der Freiheit werden und die täglichen Menschenrechtsverletzungen, denen die Uighuren ausgesetzt sind, verfolgen

Während ich diese Erklärung schreibe, erreichen Berichte unser Büro in Washington, daß am Montag in Ürümqi 4.000 Han-Chinesen in der Absicht auf die Straße gingen, gewalttätige Rache an den Uighuren zu üben. Am Dienstag waren es noch mehr Han-Chinesen geworden. In dem Maße, wie die Gewalt eskaliert, nimmt der Schmerz zu, den ich um den Verlust all dieser unschuldigen Leben empfinde. Ich fürchte, die chinesische Regierung wird keine solchen Gefühle des Schmerzen haben, wenn sie ihre Version der Ereignisse in Ürümqi verbreitet. Dieser Mangel an Selbstprüfung entzweit Han-Chinesen und Uighuren nur noch mehr.