29. November 2022
Central Tibetan Administration, www.tibet.net
von Massimo Introvigne

Der kulturelle Völkermord wird unter Xi Jinping immer schlimmer

Internationale Experten äußern ihre Befürchtungen in einem Webinar zum Thema „Schicksal von Chinas Kolonien unter Xi Jinping“
Von Vijay Kranti
Experten äußerten bei einem internationalen Webinar große Befürchtungen über eine weitere Eskalation des laufenden Prozesses, den sie als „kulturellen Genozid“ bezeichneten. Die Diskussionen konzentrierten sich auf Chinas gewaltsam besetzte Kolonien Tibet, Ostturkestan (chin. Xinjiang) und die Südmongolei (Innere Mongolei). Auch Chinas jüngste Kolonie Hongkong wurde von einigen Rednern angesprochen, die die brutale Zerschlagung des demokratischen Charakters von Hongkong bedauerten. Dieser „kulturelle Völkermord“, auf den sich der Redner bezog, ist ein Prozeß, den Präsident Xi Jinping, seit er seit zehn Jahren über China herrscht, gewaltsam betreibt.
Die Redner sind der Meinung, daß nun, da Xi die Lizenz hat, China so lange zu regieren, wie er will, und mit so viel unangefochtener Brutalität, wie er befehlen kann, die Befürchtungen wachsen, daß neue Generationen dieser Kolonien einer intensiven Gehirnwäsche unterzogen werden, mit dem Ziel, neue Bürger Chinas hervorzubringen, die immer noch wie Tibeter, Uiguren und Mongolen aussehen, deren Seelen und Köpfe aber perfekte kommunistische Han-Bürger sein werden. Einen Hoffnungsschimmer sehen die Experten jedoch in dem anhaltenden Widerstand der Chinesen gegen die drakonische Ruhigstellung der Bürger im Rahmen von Xi Jinpings „Null-Covid“ Politik, der sich in Massenprotesten gegen die kommunistische Regierung in ganz China entlud.
Am Samstag, den 27. November 2022, organisierten das Centre for Himalayan Asia Studies and Engagement (CHASE) und der Tibetan Youth Congress (TYC) gemeinsam ein internationales Webinar zum Thema „Schicksal von Chinas Kolonien unter Xi Jinping“. Das Webinar wurde von vier prominenten Rednern, die Tibet und Ostturkestan (Xinjiang) vertraten, sowie aus Italien und Indien bestritten. Bei diesen Experten handelte es sich um Dolkun Isa, den internationalen Präsidenten des World Uyghur Congress (WUC), der in Deutschland ansässig ist, aber von Australien aus an dem Webinar teilnahm. Um Marco Respinti, der aus Mailand in Italien teilnahm, einem bekannten italienischen Journalisten und dem zuständigen Geschäftsführer von Bitter Winter, einer Website, die sich mit religiöser Unterdrückung und der Verletzung von Menschenrechten in China befaßt. Um Lhadon Tethong, einer prominenten tibetischen Aktivistin, die auch Direktorin des Tibet Action Centre ist, und aus Boston, USA, teilnahm. Der vierte Redner war Tashi Dhundup, der Vorsitzende der einzigen exilpolitischen Partei Tibets, der National Democratic Party of Tibet (NDPT). Er meldete sich aus Dharamshala. Das Webinar wurde von Vijay Kranti, einem Journalisten, Tibetologen und dem Vorsitzenden von CHASE, moderiert.
In ihren abschließenden Bemerkungen waren alle Experten einhellig der Meinung, daß es jetzt höchste Zeit ist, daß sich die Völker der chinesischen Kolonien zusammentun, um gemeinsame Sache gegen den chinesischen Kolonialismus zu machen. Sie stimmten auch darin überein, sich mit gleichgesinnten Menschen und Organisationen auf der ganzen Welt zusammenzutun, um Druck auf die Regierungen auszuüben, damit diese aufhören, China ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu behandeln, und damit sie beginnen, Chinas aggressive Politik ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen, die darauf abzielt, die bestehende Weltordnung durch eine Ordnung zu ersetzen, die nur auf Chinas wirtschaftliche und militärische Interessen ausgerichtet ist.
Marco Respinti meint: „Der blutige Personenkult, der das alte maoistische Regime als luzide ideologische Torheit charakterisiert, scheint in Xi Jinpings Ziel der Sinisierung eines möglichst großen Teils der Welt durch seine Belt and Road Initiative (BRI) wieder aufzuleben. Und leider sehen wir auf internationaler Ebene keinen Widerstand dagegen. Niemand zeigt oder hat den Willen, diesen Prozeß zu stoppen. Es ist traurig, daß die demokratische Welt sich entschieden hat, seine Politik der Gewalt, der Verfolgung und der mißachteten Menschenrechte zu ignorieren, und nur darauf abzielt, wirtschaftliche Vorteile aus China zu ziehen.“
In seiner detaillierten Analyse, wie sich die Menschenrechtssituation unter Xi Jinpings Herrschaft in den letzten zehn Jahren bereits stark verschlechtert hat, bedauerte Dolkun Isa die Gleichgültigkeit der Welt, insbesondere der muslimischen Länder, gegenüber der rücksichtslosen Zerschlagung der Menschenrechte des uigurischen Volkes. „Mehr als 8000 (achttausend) Moscheen in meinem Land wurden vom chinesischen kommunistischen Regime abgerissen. Mehr als drei Millionen Uiguren schmachten in den vom Xi-Regime neu errichteten Konzentrationslagern in meinem Land und sind schlimmsten Folterungen ausgesetzt. Und mehr als eine Million Kinder wurden von der Kommunistischen Partei Chinas entführt, um hinter den Mauern der kommunistischen Internatsschulen einer Gehirnwäsche unterzogen zu werden. Aber die Weltgemeinschaft schaut immer noch hilflos zu“, sagte er. Er forderte die Weltgemeinschaft auf, das chinesische Regime nicht länger durch den Kauf von billigen Solarzellen und Baumwollprodukten zu bereichern, die in Xinjiang mit der Zwangsarbeit der KPCh angebaut und hergestellt werden.
Lhadon Tethong analysierte die Gemeinsamkeiten bei der Kolonisierung, Ausbeutung und Verweigerung der Menschenrechte in Tibet, Xinjiang und der Süd-Mongolei durch das chinesische Regime in den vergangenen Jahrzehnten. „In den letzten zehn Jahren der Herrschaft von Xi Jinping hat sich die Lage immer weiter verschlechtert. Und jetzt, da Xi über neue grenzenlose Befugnisse verfügt, rast er blindwütig in allen Kolonien Chinas, da er weder gegenüber der Bevölkerung seines Landes noch gegenüber der Weltgemeinschaft Rechenschaft ablegen muß“, sagte sie. Über die vollständige und rücksichtslose Abriegelung jeglichen Informationsflusses aus Tibet sagte Lhadon: „In den vergangenen Jahrzehnten erregte Tibet weltweites Aufsehen, weil trotz des Eisernen Vorhangs einige Informationen durch die internationalen Medien und ausländische Besucher nach außen dringen konnten. Aber aufgrund der strengen digitalen Überwachung und der Abriegelung des Landes weiß die Welt jetzt einfach nicht, was heutzutage in Tibet passiert. Leider haben die internationalen Medien bei dem ohrenbetäubenden Schweigen, das heute in Tibet herrscht, keine Abhilfe geschaffen.“
Tashi Dhundup, junger Präsident der NDPT, sagte, daß wir nur verstehen können, was das Schicksal der „chinesischen“ Kolonien unter einem mächtigeren Xi Jinping ist, wenn wir begreifen, wie seine Politik gegenüber diesen „chinesischen“ Kolonien in den letzten zehn Jahren seines Regimes aussah. „Obwohl der Prozeß der Unterdrückung, Zerstörung und Zertrümmerung der Menschenrechte seit der Besetzung dieser Länder durch China im Gange ist, wird die Ära Xi Zeuge eines noch nie dagewesenen 'kulturellen Völkermords' in diesen kolonialisierten Ländern. In der Vergangenheit sprach die Welt immer von Tibet als ‚Shangri-La’. Aber vor allem im letzten Jahrzehnt der Herrschaft von Xi hat Tibet die zweifelhafte Ehre erhalten, die 'Hölle auf Erden' zu sein“, sagte er. Er nannte die Kampagnen zur Zerstörung spiritueller Zentren wie Lharung Gar, die Zerstörung der riesigen Statuen von Buddha und Maitreya, das Verbot der tibetischen Sprache und die erzwungene Einführung der chinesischen Sprache in den tibetischen Unterricht, die gewaltsame Verschleppung von einer Million tibetischer Kinder in kommunistische Internate, die Zwangsverheiratung tibetischer Frauen mit Han-Siedlern und die massenhafte Erstellung von DNA-Profilen tibetischer Menschen als Beispiele, die zeigen, daß Xi’s Traum von Tibet ein vollständiger Völkermord an der tibetischen Kultur und Identität ist. „Daß die führenden Politiker und Regierungen der Welt schweigen, obwohl sie von diesen chinesischen Greueltaten in Chinas Kolonien wissen, entlarvt nur ihre Doppelzüngigkeit“, sagte Tashi.
In ihren abschließenden Bemerkungen stellten die Experten übereinstimmend fest, daß die Regierungen und Staatsoberhäupter der Welt nach dem Sieg von Xi auf dem gerade zu Ende gegangenen chinesischen Kongreß erneut begonnen haben, ihn aufgrund ihrer eigenen wirtschaftlichen Gier zu umarmen. Sie bedauerten, daß Tibet und Hongkong wieder aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit verschwunden sind. „Die Art und Weise, wie Xi Jinping und die KPCh in jüngster Zeit eine neue Phase der Unterdrückung in Tibet, Xinjiang, der südlichen Mongolei und Hongkong eingeleitet haben, ist ein Beweis dafür, daß der Widerstand gegen den chinesischen Kolonialismus und die Entschlossenheit, ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen, nicht am Erlahmen sind“, meinte Lhadon.