5. Oktober 2021
Radio Free Asia, www.rfa.org

China hält jedes Jahr Tausende in Isolationshaft, um „Geständnisse“ zu erlangen

Mehr als 57.000 Menschen wurden seit 2013 sechs Monate lang, manchmal auch länger, „an einem bestimmten Ort unter Überwachung“ in Isolationshaft gehalten, dem so genannten RSDL (Residential Surveillance at a Designated Location).

Die regierende Kommunistische Partei Chinas (KPCh) sperrt jährlich Tausende von Menschen im Rahmen eines staatlich sanktionierten Entführungssystems ein, das sich gegen friedliche Dissidenten richtet, wie die Menschenrechtsgruppe Safeguard Defenders in einem neuen Bericht „Locked Up: Inside China's Secret RSDL Jails“ schildert (1).

Safeguard Defenders erklärte in seinem Bericht über die „Überwachung des Wohnens an einem bestimmten Ort“ (Residential Surveillance at a Designated Location/RSDL), daß die Behörden seit der Einführung dieses Systems im Jahr 2013 mehr als 57.000 Menschen in RSDL-Haft eingesperrt haben, und beschrieb ein System zermürbender Verhöre und Folter, das ein halbes Jahr ohne Zugang zu einem Anwalt dauern kann, um den Inhaftierten „Geständnisse“ zu entlocken.

Chang Weiping

In dem Bericht wird der Fall des Menschenrechtsanwalts Chang Weiping angeführt, der während der sechsmonatigen RSDL-Haft zwischen Oktober 2020 und April 2021 gefoltert wurde.

Chang, der sich erst nach fast einem Jahr Haft mit einem Anwalt treffen durfte, wurde sechs Tage lang unbeweglich auf einem „Tiger Chair“ festgeschnallt und erhielt keine Nahrung und keine Gelegenheit zu schlafen, wie sein Anwalt im September berichtete.

Chinesische Sicherheitskräfte haben das RSDL-System auch eingesetzt, um den regimekritischen Künstler Ai Weiwei, die Menschenrechtsanwälte Wang Yu und Wang Quanzhang sowie die kürzlich freigelassenen Kanadier Michael Kovrig und Michael Spavor festzuhalten und zu verhören, heißt es in dem Bericht.

RSDL ist jedoch äußerst geheimnisvoll und findet an unauffälligen Orten statt, wobei die Opfer isoliert und in Isolationshaft gehalten werden.

Safeguard Defenders’ Mitarbeiter Chen Yanting erklärte RFA, daß RSDL dem „Verschwindenlassen“ gleichkomme.
„Sie geben der Polizei weitreichende Befugnisse, um Menschen in geheimen Einrichtungen festzuhalten und sie von jedem Kontakt mit der Außenwelt abzuschneiden und niemandem mitzuteilen, wo sie sich befinden“, sagte Chen. „Das ist dasselbe, als wenn sie verschwinden würden.“

„Die vorgeschriebene Höchstdauer für solche Inhaftierungen beträgt sechs Monate, aber wir wissen von einigen Fällen, in denen sie bis zu vier Jahre dauerten“, fügte Chen hinzu.

„Im Grunde genommen lassen die chinesische Polizei und die Staatssicherheitspolizei willkürlich Menschen verschwinden und halten sie ohne Aufsicht durch die Justiz fest, wobei die Opfer gefoltert werden, um 'Geständnisse' zu erzwingen; es handelt sich also um ein schwarzes Gefängnissystem.“

Chen forderte die internationale Gemeinschaft auf, den Einsatz von RSDL und andere Menschenrechtsverletzungen durch die KPCh zu verurteilen.

Rund um die Uhr überwacht

Lam Wing-kei, ein Buchhändler, der nach Taiwan geflohen war, nachdem er in Festlandchina wegen des Verkaufs verbotener politischer Bücher in Hongkong inhaftiert worden war, sagte, er sei sechs Monate lang in einer solchen Einrichtung in der ostchinesischen Stadt Ningbo festgehalten worden.

Er meint, die Einrichtungen seien gewissenhaft konzipiert, um die Gefangenen daran zu hindern, Selbstmord zu begehen oder sich selbst zu verletzen.

„Die Zahnbürste ist beispielsweise sehr klein und an einem Strick befestigt, damit man sie nicht verschlucken kann, während die Wände und die Ecken der Tische und Stühle alle gepolstert sind“, so Lam gegenüber RFA.
„Sie haben nämlich Angst, daß die Leute versuchen könnten, Selbstmord zu begehen, indem sie ihren Kopf gegen eine Tischecke oder die Wand hauen“.

„Mit anderen Worten, sie haben eine Menge Erfahrung, und alle Einrichtungen sind auf diese Weise ausgestattet“, so Lam. „Die KPCh weiß bestens Bescheid über den psychologischen Zustand dieser Menschen.“

„Man kann nichts an die Wand hängen, und man kann sich auch nicht aufhängen“, sagte er. „Die Fenster sind alle vergittert, und die Gefangenen können nirgendwo hingehen.“

„Es gibt eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung, und sie schalten nie das Licht aus, selbst wenn jemand schläft.“
Je nach Standort und Umständen seien die Einrichtungen jedoch unterschiedlich. „Manchmal handelt es sich um keinen ganzen Gebäudekomplex, manchmal ist ein Hotel der Ort, wo die Leute festgehalten werden; es kommt darauf an, was sie brauchen“, so Lam.

„Die fünf von uns von Causeway Bay Books (2) wurden alle am selben Ort festgehalten, in einem großen Gebäudekomplex in Ningbo, was für sie bequemer war, 'Geständnisse' zu bekommen“, fügte er hinzu.

(1) “Locked Up: Inside China's Secret RSDL Jails (2021)”, https://safeguarddefenders.com/en/locked

(2) https://en.wikipedia.org/wiki/Causeway_Bay_Books_disappearances

Schilderung des Schweden Peter Dahlin seiner Haftzeit im RSDL:
https://www.theguardian.com/world/2017/jan/03/human-rights-activist-peter-dahlin-secret-black-prison-xi-jinpings-new-china