17. Januar 2019
Quelle: Gabriel Lafitte, www.rukor.org

https://nb.sinocism.com/p/engineers-of-the-soul-ideology-in

John Garnaut ist ein führender australischer China-Analytiker, Journalist und Regierungsberater

Ingenieure der Seele: Was Australien über die Ideologie von Xi Jinpings China wissen sollte

(Diese Seminarrede betrifft natürlich nicht nur Ausstralien, sondern die ganze Welt)

von John Garnaut: Rede bei Asian Strategic and Economic Seminar Series 2017

Ich bin hier als jemand, der in die Sippschaft der Wirtschaftswissenschaftler hineingeboren wurde und gezwungen war, allmählich der Sicherheitsabteilung immer mehr Boden abzutreten. Dieser Rückzug fand im Verlauf von über einer Dekade statt, Schritt um Schritt, als ich allmählich erkennen mußte, daß wirtschaftliche Öffnung nicht automatisch zu politischer Öffnung führt. Und ganz gewiß dann nicht, wenn man es mit einem politischen Regime zu tun hat, das fähig ist, eine solche zu unterbinden, was es auch tut.

Politik ist nicht alles, aber es gibt, vielleicht mit der Ausnahme von Nordkorea, kein Land auf der Erde, wo sie allgegenwärtiger wäre als in China. Und es gibt kein anderes politisches System, das so enge ideologische Bindungen hat.

Bei der Arbeit, die ich in den oberen Geschossen dieses Gebäudes tat, versuchte ich, die Ideologie aus meiner Analyse, welchen Einfluß China auf Australien und unsere Region hat, wegzulassen. Es war schlicht zu fremd und zu schwierig zu verdauen. Um es für gestreßte Politiker verständlicher zu machen, war es leichter, die Ereignisse, Handlungen und Vorstellungen zu „normalisieren“, indem ich sie in vertrautere Begriffe kleidete.

Diese Vorgehensweise, China zu „normalisieren“, diente auch dazu, quälende, normative Debatten darüber, was China ist, wohin es geht und was es will, zu umgehen. Es war auch ein Weg, um eine zu heftige Debatte darüber, wer für oder gegen China ist, zu vermeiden. Die „kommunistische Partei“ aus „China“ herauszunehmen, war auch ein Weg, die Autoimmun-Antwort zu desaktivieren, die andernfalls eine produktive Konversation unmöglich machen könnte.

Dieser Pragmatismus funktionierte ganz gut. Wir haben die China-Konversation im Laufe des vergangenen Jahres auf eine neue Ebene des respektvollen Diskutierens gehoben.

Indem wir die Ideologie ausklammern, verzichten wir auf einen Diskussionsrahmen, der sowohl erläuternden Wert hat wie auch von vornherein bestimmend ist.

An einem gewissen Punkt müssen wir uns, angesichts der Einflußnahme Chinas in Australien, ernstlich darum bemühen, den ideologischen Strategieplan zu analysieren, der die Sprache, die Wahrnehmungen und die Entscheidungen der chinesischen Führer bestimmt. Wenn wir jemals das Genom der Kommunistischen Partei entschlüsseln wollen, dann müssen wir ihre ideologische DNA lesen.

So trete ich also heute in die Debatte um das Wesentliche ein.

Ich möchte folgende allgemeinen Aussagen über die historischen Grundlagen der Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) machen, die natürlich sehr wichtig sind:

  • Der Kommunismus fiel in China auf keinen unvorbereiteten Boden. Vielmehr wurde er einem bereits existierenden ideologischen System aufgepfropft ­­- dem klassischen chinesischen dynastischen System.

  • China hatte eine ungewöhnliche Achtung für das geschriebene Wort und die Akzeptanz seines didaktischen Wertes.

  • Der Marxismus-Leninismus wurde Mao und seinen revolutionären Genossen durch einen entscheidenden Mann vermittelt: Joseph Stalin.

  • Der Kommunismus, wie von Lenin, Stalin und Mao interpretiert, ist eine alles umfassende Ideologie. Auf die Gefahr hin politisch gefühllos zu sein - sie ist totalitär.

  • Xi Jinping hat diese Ideologie in einem Ausmaß wiederbelebt, wie wir es seit der Kulturrevolution nicht erlebt haben.

Erst nach den folgenden Erörterungen werde ich auf die praktischen Implikationen, die all das gegenwärtig hat, eingehen.

Eine dynastische Kosmologie

Aus meiner Arbeit als Journalist und Schriftsteller im neuen China - um den Parteijargon zu verwenden - war es klar, daß die formale Ideologie des Kommunismus einhergehend mit einer inoffiziellen Ideologie des alten China existiert. Die Gründungsväter der VR China kamen mit einer Zusicherung an die Macht, alles zurückzuweisen und zu zerstören, was mit der dunklen, imperialen Vergangenheit zu tun hatte, dennoch haben sie den geistigen Hintergrund eigentlich niemals richtig verändert.

Mao und seine Genossen wuchsen mit den Geschichten des imperialen Chinas auf. Sie hörten nie auf, diese zu lesen. The Dream of Red Mansions (der Traum der roten Kammer) oder The Three Kingdoms - die chinesischen Klassiker handeln alle vom Aufstieg und vom Zerfall von Dynastien. Das ist die Metanarrative der chinesischen Literatur und Historiographie, sogar heute noch.

Mao insbesondere war davon besessen, wie mir sein einstiger Sekretär Li Rui erklärte: „Er schlief nur auf einem Drittel der Bettfläche, die anderen zwei Drittel waren von Büchern bedeckt, alles fadengebundene chinesische Bücher, alte chinesische Literatur. Er suchte nach den Strategien der Kaiser, wie man dieses Land regieren kann. Das interessierte ihn am meisten“.

Und die Gründer-Revolutionäre gaben dieselben Geschichten an ihre Kinder weiter. Die Tochter von Maos Chefpropagandisten Hu Qiaomu erzählte mir, ihr Vater habe ihr gegenüber nur einmal die Stimme erhoben: Als sie eingestand, daß sie The Dream of Red Mansions (das übrigens eine Million Zeichen umfaßt) nicht zu Ende gelesen habe. Hu Qiaomu war wütend, er warf ihr vor, Chairman Mao habe das Buch 25 Mal gelesen.

Das ist also meine erste Beobachtung bezüglich der Ideologie - Ideologie im weitesten Sinne, als ein kohärentes System von Ideen und Idealen: Die Gründer-Familien der VR China sind tief in dem dynastischen System verankert.

Zugegebenermaßen sind Kommunismus und Feudalsystem keine guten Bettgenossen, aber sie sind nicht unversöhnlich. Die Formel für den dynastischen Kommunismus wurde von Chen Yun perfektioniert: Ihre Kinder mußten die Macht erben, nicht wegen des Privilegs, sondern weil man darauf zählen konnte, daß sie der revolutionären Sache treu sein würden. Oder wie er es formulierte: „Wenigstens werden unsere Kinder unsere Gräber nicht aufgraben“.

Xi Jinping erhebt einen ungeschriebenen aristokratischen Anspruch auf Macht, der sich von der Nähe seines Vaters zu dem Gründer der Roten Dynastie, Chairman Mao, ableitet. Er ist der umfassende Vertreter aller großen Gründerfamilien. Das ist der Startpunkt zum Verstehen der Weltsicht von Xi Jinping und seiner Kohorte von Prinzlingen.

In der Ansicht von Chinas Prinzlingen - oder „Revolutionären-Nachfolgern“, wie sie lieber genannt werden möchten - ist China immer noch in dem Zyklus gefangen, der jede Dynastie, die vor ihnen war, geschaffen und zerstört hat. In dieser Tradition hat man, wenn man die politische Macht verliert, nicht einfach seinen Job verloren (während man die Leitung behält), wie es in unserem ziemlich gentrifizierten Arrangement geschehen könnte. Man verliert vielmehr Reichtum, Freiheit, vermutlich auch das Leben, und die gesamte erweiterte Familie. Man ist dann buchstäblich aus der Geschichte getilgt. Die Gewinner nehmen alles an sich und die Verlierer verlieren alles.

Bei diesen hohen Einsätzen ist die englische Wendung „life-and-death-struggle“ (Kampf auf Leben und Tod) viel zu einfach. In der chinesischen Formulierung müßte es eher heißen: „Du stirbst, ich lebe“. Ich muß präventiv töten, um zu leben. Xi und seine Genossen der roten Dynastie glauben, daß sie in dem Augenblick, in dem sie das vergessen, denselben Weg wie die Manchu und die Ming gehen werden.

Chinas Verehrung des geschriebenen Wortes

Ein zweiter Punkt, der auch etwas mit dem ersten zu tun hat, ist, daß China eine außerordentliche Verehrung für das geschriebene Wort hat. Geschichten, die Geschichte und Lehrer besitzen große moralische Autorität, eine größere als in jedem anderen Land, das mir einfällt, mit der Ausnahme des zaristischen Rußlands. Dieser Umstand mag Rußland und China kulturell empfänglich gemacht haben für Propaganda und die durch Propaganda vermittelte Ideologie. Sicher ist, daß China für die Sowjet-Ideologie besonders aufnahmefähig war, weil die chinesischen Intellektuellen in der russischen Literatur und den russischen Texten eher und leichter eine Bedeutung fanden als bei anderen westlichen Quellen. „Die russische Literatur war unser Führer (daoshi) und Freund“, sagte Lu Xun.

In der klassischen chinesischen Staatskunst gibt es zwei Werkzeuge, um Kontrolle über „die Berge und die Flüsse“ zu erlangen: das erste ist wu (Waffen, Gewalt) und das zweite ist wen (Sprache, Kultur).
 
Die chinesischen Führer waren stets davon überzeugt, daß die Macht aus der Kontrolle sowohl des physischen Schlachtfeldes als auch des Kulturbereichs erwächst. Man kann die physische Macht nicht ohne die diskursive Macht aufrechterhalten. Wu und wen gehen Hand in Hand.

Der Schlüssel zum Verständnis der Anziehungskraft der sowjetischen Komintern (Kommunistische Internationale) in Shanghai und Guangzhou ist, daß ihre (wirklich brillanten) Repräsentanten fesselnde Geschichten erzählen konnten. Sie kamen mit Geld, Gewehren und Organisationstechnik daher, doch ihr größtes Überzeugungsargument war ein Narrativ, das ein lineares Entkommen aus dem dynastischen Zyklus versprach.

(Tatsächlich war der Verlauf der Geschichte, nach der sowjetischen Interpretation des Marxismus, nicht exakt linear. Vielmehr bewege sich die Geschichte entlang der Kurven eines Korkenziehers, geformt von den „dialektischen“ Runden von Kampf, Zerstörung und Erneuerung.)

Maos diskursiver Vorteil war die marxistisch-leninistische Ideologie. Die Sprache war nicht nur ein Werkzeug für das moralische Urteil. Sie war ein Werkzeug, um ein akzeptables Verhalten zu erzielen, und eine Waffe, um Freunde und Feinde zu unterscheiden. Das ist der Untertext von Maos berühmtem Gedicht „Schnee“. Die kommunistische Ideologie befähigte ihn, Kultur in einer Weise „als Waffe zu benutzen“, wie seine imperialen Vorgänger es niemals vermocht hatten.

Und man sollte nicht vergessen, wer in dem gesamten Vierteljahrhundert, in dem Mao zu absoluter Macht aufstieg, der Führer der kommunistischen Welt war.

Der „grosse Genius“ Genosse Stalin

Mao wußte, daß das marxistisch-leninistische Dogma für sein Vorhaben absolut entscheidend war, doch es fehlte ihm persönlich die Geduld, es durchzuarbeiten. Er fand in Joseph Stalins „Kurzem Lehrgang der Geschichte der Bolschewiki“, der 1938 am Ende von Stalins Großem Terror herauskam, eine Abkürzung zur ideologischen Leistung. Li Rui zufolge, der von dem Historiker Li Huayu interviewt wurde, dachte Mao, er habe eine „Enzyklopädie des Marxismus“ gefunden, und handelte, als ob er „einen Schatz entdeckt hätte“.

Zur Zeit von Stalins Tod, im März 1953, wurde der „Kurze Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ zum dritthäufigst gedruckten Buch in der menschlichen Geschichte. Nach Stalins Tod - als Stalin auf der Titelseite des People’s Daily als der „große Genius“ gepriesen wurde - verdoppelten die chinesischen Drucker ihren Eifer. Es ist die Schrift, die in China einem religiösen Text am nächsten kam.

Der „Kurze Lehrgang“ ist schwierig zu lesen, doch er bietet uns dieselbe Abkürzung zum Verstehen der kommunistischen Ideologie, wie er es für Mao tat.

Stalins Problem war anders als Lenins Problem. Lenin mußte eine Revolution gewinnen, doch Stalin mußte sie aufrechterhalten.

Stalins große ideologische Herausforderung war es, daß er erklären mußte, daß sie zwar die Revolution gewonnen hatten, daß aber die lange versprochene Utopie von perfekter Gleichheit noch verschoben werden mußte. Er mußte rational erklären, wieso er das utopische Ziel hinter dem Horizont verschwinden ließ und dieses immer wieder zurückgesetzte Planziel dem Imperativ der  innerparteilichen Grabenkämpfe unterordnete.

Stalins „Kurzer Lehrgang“ ist ein Handbuch für den permanenten Kampf gegen ein Heer eingebildeter, heimtückischer Feinde, die mit imaginären Vertretern des Westens zusammenarbeiten, um den bourgeoisen Kapitalismus und Liberalismus wiederzuerrichten. Er ist geschrieben als eine Chronik der Siege Lenins und dann der „korrekten Linie“ Stalins, die den Sieg über eine endlose Aufeinanderfolge von ideologischen Schurken davonträgt. Es ist vielleicht lehrreich, daß viele der „abscheulichsten“ inneren Feinde ihre subversiven Absichten angeblich unter dem Deckmantel von Reformen versteckten.

Der praktische Nutzen des Buches ist, daß es ein Gegenmittel gegen Verkalkung und Zersetzung vorschreibt, die unvermeidlich jede Diktatur aushöhlen und zerfallen lassen.

Die originellste Erkenntnis in Stalins „Kurzem Lehrgang über die Geschichte der Bolschewiken“ ist, daß der Weg zur sozialistischen Utopie immer von Feinden behindert wird, die von innen aus der Partei heraus den bürgerlichen Kapitalismus wieder herstellen wollen. Diese inneren Feinde werden immer verzweifelter und gefährlicher, da sie immer mehr Gefahren ausgesetzt sind und weil sie mit den Spionen und Agenten des westlichen Liberalismus zusammenarbeiten.

Die wichtigsten Aussagen des Buches sind:

  • „Je weiter die Revolution  vordringt, umso mehr verstärkt sich der Klassenkampf“.

  • „Die Partei wird stärker, indem sie sich selbst reinigt“

Man kann sich vorstellen, wie aufschlußreich diese Formulierung für einen skrupellosen chinesischen Führer wie Mao war, der die Welt von „Du stirbst, ich lebe“, in die er hineingeboren wurde, gemeistert hatte - eine Welt, in der man zu wählen hat, ob man entweder selbst tötet oder getötet wird - und der davon besessen war, wie der Verfall vermieden werden kann, der bisher jede imperiale Dynastie zerstört hat.

Was Stalin Mao bot, war nicht nur ein Handbuch, um bei den Genossen zu säubern, sondern auch eine Erklärung dafür, warum das notwendig war. Seine Rivalen zu liquidieren, war der einzige Weg, wie eine Fortschrittspartei sich „säubern“, ihrer revolutionären Rolle treu bleiben und eine Wiederherstellung des Kapitalismus vermeiden konnte.

Säuberung war für die Chinesische Kommunistische Partei der Mechanismus, um eine immer größere „Übereinstimmung“ mit der revolutionären „Wahrheit“, wie sie von Mao interpretiert wurde, herzuzustellen. Es ist der Mechanismus, um den Prozeß der Verfälschung und Zersetzung aufzuhalten, der unausweichlich einsetzt, sobald die Gründer einer jeden Dynastie die Bühne verlassen.

Wesentlich ist, daß Mao mit Chruschtschow brach, weil Chruschtschow mit Stalin und mit allem, wofür er stand, gebrochen hatte. Die sino-sowjetische Spaltung war ideologischer Natur - es war Maos Anspruch auf die ideologische Führung über die kommunistische Welt. Marx, Lenin, Stalin, Mao. Mao erhob den Anspruch, Stalins wahrer Nachfolger zu sein. Wir hören eine Menge darüber, wie Xi und seine Kumpanen Gorbatschow für den Zusammenbruch des sowjetischen Staates verantwortlich machen, doch tatsächlich reichen ihre Klagen viel weiter zurück. Sie geben Chruschtschow die Schuld. Sie tadeln Chruschtschow dafür, daß er mit Stalin gebrochen hat. Und sie geloben, daß sie Mao niemals das antun werden, was Chruschtschow Stalin antat.

Nun, 60 Jahre danach, erleben wir, wie Xi seinen Anspruch erhebt, der wahre revolutionäre Nachfolger Maos zu sein.

Seine Rede von der „Reinheit der Partei“, von „Kritik und Selbstkritik“, von der „Massenlinie“, seine Besessenheit von der Idee der „Einheit“, seine Angriffe auf die Elemente des „feindlichen westlichen Liberalismus, des „Konstitutionalismus“ und andere Varianten der ideologischen „Subversion“ - all das ist Marxismus-Leninismus, wie er von Stalin interpretiert wurde, und in seiner Nachfolge von Mao.

Das ist die Sprache, welche die tief roten Prinzlinge sprachen, wenn sie zusammensaßen, und die sie dem Anlass entsprechend benutzten, als ich sie interviewte und in ihre Zusammenkünfte in Vorbereitung auf den 18. Parteikongreß hineinplatzte.

Und das sagte Xi nach dem 18. Parteikongreß (November 2012):

„Die Geschichte der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei der Sowjetunion auszublenden, Lenin und Stalin auszublenden und alles andere auszublenden, bedeutet, sich dem historischen Nihilismus hinzugeben, und es verwirrt unsere Gedanken und untergräbt die Parteiorganisationen auf allen Ebenen.“

Heute muß, wie absurd es auch scheint, die utopische Zielsetzung aufrechterhalten werden, um die brutalen Mittel, dorthin zu gelangen, zu rechtfertigen. Xi hat ein paar Zwischenziele eingefügt - für Leute, denen es an der revolutionären Geduld mangelt - doch die zugrundeliegende marxistisch-leninistisch-stalinistisch-maoistische Logik bleibt dieselbe.

Das ist die Logik seiner immer weiter um sich greifenden Säuberung von Genossen, die nicht aus dem Weg gehen wollen:

Die Säuberung des Prinzlings und Herausforderers Bo Xilai, des Sicherheitschefs Zhou Yongkang, der zwei Vizevorsitzenden der Zentralen Militärkommission der PLA, Xu Caihou und Guo Boxiong, des Mittelsmanns der Jugendliga Ling Jihua, und erst vor kurzem des potentiellen Nachfolgers Sun Zengcai.

Nichts davon ist persönlich zu verstehen, es ist vielmehr dialektisch und unvermeidlich.

Das drängt China vorwärts und beschleunigt seine Reise in dem unerschöpflichen, schraubenzieherförmigen Verlauf der Geschichte.

„Geschichte muß in ihrem dialektischen Verlauf vorwärts gebracht werden“, sagte Xi 2015 in seiner Rede zum 95. Jahrestag der Partei. „Geschichte schreitet immer vorwärts, und sie wartet nie auf all jene, die zögern“.

Dieselbe Logik gilt außerhalb der Partei als auch innerhalb.

„Der dekadenten Kultur der kapitalistischen Klasse und der feudalistischen Gesellschaft muß entgegen getreten werden“, zitierte das autoritative Guangming Daily aus einer weiteren von Xi’s Reden.

Die Essenz von Maoismus und Stalinismus ist ständiger Kampf. Das ist das Gegenmittel gegen die Verkalkung und Zersetzung, die noch jede frühere Dynastie, Diktatur und jedes Imperium zerstört haben. Deshalb glauben Xi und seine roten Anhänger und Genossen, daß Maoismus und Stalinismus auch heute noch ausgesprochen relevant sind. Nicht nur relevant, sondern existentiell notwendig.

Xi hat einen Säuberungsprozeß in Gang gesetzt - einen Krieg gegen die Kräfte der Gegenrevolution - der keinen Endpunkt hat, weil das theoretische, utopische Ziel des perfekten Kommunismus immer ein wenig weiter vorwärts geschoben wird.

Es gibt keine politische Zielsetzung in dem Sinn, wie ein Wall Street Banker oder ein Staatsbediensteter aus Canberra sie verstehen würden - als ein wenig mehr Markteffizienz hier oder Komprimierung des Gini-Koeffizienten (Reduzierung der Ungleichverteilung des Eigentums) dort. Vielmehr geht es darum, wie man die dynastische Durchschlagskraft und Vitalität wiederherstellt. Die Politik ist der Zweck.

Das verstanden Mao und Stalin besser als sonst jemand in ihrer Gefolgschaft. Dies ist der Kernpunkt von Xi Jinpings „tiefroter Restauration“. Und warum die extreme Politik auch nach dem 19. Parteikongreß (Oktober 2017) nicht aufhören wird.

Und das bringt uns zu dem Titel dieses Seminars:

Ingenieure der menschlichen Seele

Bei meinem ersten Workshop in diesem Gebäude fragte ich, wer wohl das Staatsoberhaupt sei, das Künstler und Autoren als „Ingenieure der Seele“ beschrieb.

War dieses Wortgebilde die Schöpfung von Stalin, Mao oder jemand anderem? Wenn Sie auf Joseph Stalin tippen, dann liegen Sie richtig:

„Die Produktion von Seelen ist wichtiger als die Produktion von Panzern… Und deshalb erhebe ich mein Glas auf Euch, Schriftsteller, die Ingenieure der menschlichen Seele.“

Für mich ist das eine der großen totalitären Metaphern: eine Maschine, entworfen, um vollständige Einheit zwischen Staat, Gesellschaft und den Individuen zu schmieden.

Die totalitäre Maschine folgt einem vorherbestimmten Weg. Sie leugnet die Existenz des freien Willens und verwirft „abstrakte“ Werte wie Wahrheit, Liebe und Empathie. Sie lehnt Gott ab, beugt sich keinem Gesetz und versucht nichts Geringeres als die Umgestaltung der menschlichen Seele.

Das Zitat stammt aus Stalins berühmter Rede im Haus des Schriftstellers Maxim Gorki in Vorbereitung des ersten Kongresses Sowjetischer Schriftsteller im Oktober 1932. Das markierte das Ende von Stalins Großer Hungersnot und Kulturrevolution - der Prototyp für Maos Große Hungersnot und Kulturrevolution - in der Zeit vor Stalins Großem Terror.

Für Stalin, Lenin und die Urleninisten im Rußland des 19. Jahrhunderts war der Wert von Literatur und Kunst rein instrumental. So etwas wie „Kunst um der Kunst willen“ gab es nicht. In ihrer Ideologie hat Poesie keinen eigentlichen Wert außer dem der Indoktrination der Massen und der Förderung der Sache der Revolution.

Oder, um die technische Sprache des ursprünglichen „Manns aus Stahl“ - Joseph Stalin - zu verwenden: Literatur und Kunst sind nichts mehr und nichts weniger als Zahnräder in der Revolutionsmaschine.

Aber wenn Sie meinen, die Antwort sei der Vorsitzende Mao, dann liegen Sie auch richtig. Mao erweiterte Stalins Metapher ein Jahrzehnt später bei seiner Rede vor dem berühmten Literatur- und Kunstforum in Yan’an im Oktober 1942, die in schwer frisierter Form ein Jahr später veröffentlicht wurde:

„Die Aussprache, die wir heute eröffnen, soll dazu dienen, daß sich Literatur und Kunst als integrierender Bestandteil in den Gesamtmechanismus der Revolution gut einfügen, daß sie zu einer machtvollen Waffe für den Zusammenschluß und die Erziehung des Volkes, und für die Bekämpfung des Feindes und dessen Vernichtung werden, daß sie dem Volk helfen, einmütig gegen den Feind zu kämpfen.“

Damals machte Mao klar, daß es so etwas wie Wahrheit, Liebe oder künstlerische Werte nicht gibt, außer diese abstrakten Begriffe können in den praktischen Dienst der Politik gestellt werden.

Wichtig und von heutiger Bedeutung ist, daß Mao mit seiner Rede über Kunst und Literatur die Yan’an Berichtigungskampagne einleitete - die erste große Säuberung innerhalb der KPC. Das war ein Projekt von sorgfältig organisiertem Druck, Folter inbegriffen, auf die Genossen, erdacht, um zuerst unter seinen unmittelbaren Genossen zu säubern und dann die kommunistische Ideologie dem Geist von Hunderttausenden idealistischer Studenten und Intellektueller tief einzuprägen, die während des antijapanischen Widerstandskrieges nach Yan’an geströmt waren.

Wichtig ist auch, daß die Kommunistische Partei niemals zu „überzeugen“, vielmehr zu „konditionieren“ versuchte. Durch Schaffung eines völlig geschlossenen Systems, durch Kontrolle aller positiven und negativen Anreize und indem sie die Einzelpersonen physisch, sozial und psychologisch „brachen“, merkten die Kommunisten, daß sie den menschlichen Geist in derselben Weise zu konditionieren vermochten, wie Pawlow es ein paar Jahre früher gelernt hatte, seine Hunde zu konditionieren.

Damals prägten Maos Leute erstmals den Begriff „Gehirnwäsche“ - das ist die wörtliche Übersetzung des maoistischen Ausdrucks xinao, wörtlich „das Gehirn waschen“. Mao selbst bevorzugte Stalins metallurgische Metapher. Er nannte es „tempern/härten“:

„Wenn du eins sein willst mit den Massen, dann mußt du bereit sein, den langen und sogar schmerzlichen Prozeß des Härtens über dich ergehen zu lassen“.

Maos Reden von Yan’an über Literatur und Kunst verschwanden, aber wurden dann mit dem Beginn der Kulturrevolution - dem kühnsten und erfolgreichsten Akt von Social Engineering, den es jemals gegeben hat - überall ausgegraben und wieder veröffentlicht.

Und am wichtigsten ist für uns alle heute: Wenn Sie denken, daß es sich hier um Präsident Xi Jinping handelt, dann haben Sie auch recht.

Präsident Xi, oder besser Vorsitzender Xi, sprach bei dem Forum über Literatur und Kunst im Oktober 2014 in Beijing. Dieses wurde am 72. Jahrestag des Yan’an Forums für Literatur und Kunst des jungen Vorsitzenden Mao einberufen.

Xi trat für eine Rückkehr zum stalinistisch-maoistischen Prinzip ein, daß nämlich Kunst und Literatur nur dazu da seien, um der Politik zu dienen. Politik, nicht in dem Sinne, wie wir sie kennen -  d.h. die direkte Ausübung organisatorischer und beschlußfassender Macht -, sondern das totalitäre Projekt der Schaffung von Einheit von Sprache, Wissen, Denken und Verhalten in der Verfolgung eines utopischen Ziels.

„Kunst und Literatur sind die Technik, die die menschliche Seele formt. Kunst- und Literaturarbeiter sind die Ingenieure der menschlichen Seele“.

Wie es bei Maos Version der Fall war, so wurde auch Xi’s Rede vor dem Kunst- und Literaturforum erst ein Jahr später veröffentlicht.

Wie bei Maos Rede, so fand sich in der veröffentlichten Version auch kein Eingeständnis, daß große Stücke hinzugefügt, gestrichen und revidiert worden waren - um den politischen Imperativ der Zeit zu reflektieren.

Wie bei Stalin und Mao, so markierte auch Xi’s Rede einen Feldzug der Kommunistischen Partei zur Gleichausrichtung, der das uneingeschränkte Bestreben, die jeweiligen Führer in den Kultstatus zu erheben, mit einschloß. Nichts geschieht in der Choreographie der Kommunistischen Partei zufällig.

Es sollte hier erwähnt werden, daß Mao, als er 1942 das Volk versammelte, er es unter dem Banner des „Patriotismus“ tat, weil die Idee des Kommunismus absolut keine Zugkraft besaß.

Und heute ist es nicht anders. Xi: „Unter den zentralen Werten des Sozialismus unter chinesischem Vorzeichen ist der zutiefst empfundene, der grundlegendste und beständigste der Patriotismus. Unsere moderne Kunst und die Literatur müssen den Patriotismus zu ihrer Muse erklären, der die Menschen dahin führt, die richtigen Ansichten über die Geschichte, die Nation, das Land und die Kultur zu haben und zu pflegen“.

Und die alten Warnungen vor dem subversiven westlichen Liberalismus haben sich ebensowenig gewandelt.

Für Lenin, Stalin, Mao und Xi sind Worte keine Träger von Vernunft und Überzeugung. Sie sind vielmehr Geschosse. Worte sind Waffen zur Definierung, Isolierung und Zerstörung von Gegnern. Und die Aufgabe der Zerstörung der Feinde findet nie ein Ende. (Das würde eine separate Diskussion über die Einheitsfront-Strategie verdienen, doch ich verschiebe dieses Thema auf ein andermal).

Für Xi gibt es, wie bei Stalin und Mao, kein Ende des permanenten Strebens nach Einheit und Aufrechterhaltung des Regimes.

Xi benutzt dieselbe ideologische Schablone, um die Rolle der „Medienarbeiter“ zu beschreiben. Und der Lehrer. Und der Wissenschaftler an den Universitäten. Sie alle sind Ingenieure der ideologischen Konformität und Räder in der Maschine der Revolution.

Unter den vielen Dingen, die Chinas moderne Führer getan haben - wie die größte Explosion von Marktliberalisierung und Armutslinderung, die es jemals gab, zu managen - haben jene, die die internen politischen Schlachten gewannen, das totalitäre Bestreben, die menschlichen Seelen zu modellieren, beibehalten, um sie zu einem immer weiter zurückweichenden und stets wechselnden utopischen Ziel zu führen.

Das soll nicht heißen, daß China nicht hätte anders werden können. Die Elite-Politik von Maos Tod bis zu dem Tiananmen-Massaker war ein echter Wettkampf der Ideen. Doch die Ideologie gewann diesen Wettkampf.

Heute ist die VR China, mit der partiellen Ausnahme von Nordkorea, die einzige herrschende kommunistische Partei, die nie mit Stalin gebrochen hat. Stalins Portrait hing neben dem von Marx, Engels und Lenin auf dem Tiananmen Platz - sechs Meter hoch - bis Anfang der Achtziger, als die Portraits nach innen gebracht wurden.

Lange Zeit trösteten wir uns mit dem Gedanken, daß dieser ideologische Eifer nur auf dem Papier existierte, nur einem Lippenbekenntnis glich, während Chinas 1,4 Milliarden Bürger damit beschäftigt waren, Familien und Gemeinschaften aufzubauen und nach Wissen und Wohlstand zu streben.

Aber es war viel mehr als ein Lippenbekenntnis. Seit 1989 erneuerte sich die Partei auf der Grundlage dessen, was in dem Entwurf zum Nationalen Sicherheitsgesetz als „ideologische Sicherheit“ bezeichnet wird, wozu auch gehört, daß man sich gegen „negative kulturelle Infiltration“ wappnet.

Propaganda und Sicherheit - wen und wu, das Buch und das Schwert, der Stift und das Gewehr - sind wieder untrennbar geworden. Die Parteiführer müssen „wagen, ihr Schwert zu ziehen“, um sicherzustellen, daß „Politiker die Zeitungen herausgeben“, sagte Xi bei seiner ersten nationalen Konferenz für Propagandaarbeit am 9. August 2013.

Xi hat jetzt die Ideologie in den Mittelpunkt gestellt, weil sie den Rahmen für „Säuberung“ und die Wiedergewinnung der Kontrolle über die Führung der Partei und damit über das Land liefert.

In Xi’s Ansicht, die von vielen in seiner Kohorte roter Prinzlinge geteilt wird, wäre der Preis für eine zu weite Entfernung von dem maoistischen und stalinistischen Pfad der dynastische Verfall und schließlich der Kollaps.

Alles, was Xi als ein Führer sagt, und alles, was ich aus seinem Hintergrund zusammentragen kann, macht mir klar, daß er es mit diesem allumfassenden Projekt todernst meint.

Zurückschauend hätten wir dies aus den Verweisen auf Mao und Stalin, die Xi in seine Eröffnungsrede als Präsident im November 2012 einstreute, erkennen können.

Es wurde bei Xi Jinpings erster Tour als Generalsekretär durch die südlichen Provinzen im Dezember 2012 noch deutlicher, als er in Shenzhen einen Kranz an Dengs Statue niederlegte, aber Dengs Botschaft auf den Kopf stellte. Er gab dem Umstand, daß niemand „Manns genug“ war, um Gorbatschow entgegenzutreten, die Schuld am Zusammenbruch der Sowjetunion, und dies sei wiederum so, weil die Parteimitglieder die Ideologie vernachlässigt hätten. Damals sprach er seine Warnung aus, daß man Mao, Lenin und Stalin nicht vergessen dürfe.

Im April 2013 sandte das Sekretariat des Zentralkomitees, dem Xi’s Prinzling und rechte Hand Li Zhanshu vorstand, die folgende, nun berüchtigte politische Anweisung an alle höheren Parteiorganisationen.

Dieses „Kommuniqué zur aktuellen Lage der ideologischen Sphäre“, genannt Dokument No. 9, erklärte „die Ausbreitung der Gedanken an der kulturellen Front zur wichtigsten politischen Aufgabe“. Es forderte von den Kadern, den „Eifer der Massen“ zu wecken und einen „intensiven Kampf“ gegen die folgenden „falschen Trends“ zu führen:

  1. Die westliche konstitutionelle Demokratie - „das ist ein Versuch, die augenblickliche Führung zu entmachten“.

  2. Die universellen Werte der Menschenrechte - das ist ein Versuch, das theoretische Fundament der KPC zu untergraben.

  3. Die Zivilgesellschaft - das ist ein „politisches Werkzeug“ der westlichen Anti-China-Kräfte, um das soziale Fundament der Parteiführung zu demontieren.

  4. Der Neoliberalismus - das sind von den USA angeführte Bemühungen, „das grundlegende ökonomische System Chinas zu untergraben “.

  5. Die westliche Vorstellung von Journalismus - sie greift die marxistische Ansicht der Nachrichtenkommunikation an und versucht eine „Öffnung herzustellen, um unsere Ideologie durch sie zu infiltrieren“.  

  6. Der historische Nihilismus - das ist ein Versuch, die Parteigeschichte zu untergraben und die „Unvermeidbarkeit“ des chinesischen Sozialismus zu leugnen.

  7. Infragestellung von Reformpolitik und Öffnung - es wird nicht mehr diskutiert, ob die Reform weitergehen soll.   

In diesem Dokument gibt es keine Zweideutigkeit. Die westliche Verschwörung, die Partei des Volkes zu infiltrieren, zu untergraben und zu stürzen, hängt nicht davon ab, was ein bestimmtes westliches Land denkt oder tut. Es ist eine Gleichung, eine mathematische Größe: Die KPC existiert und deshalb wird sie angegriffen. Keine Art von Entgegenkommen und Beschwichtigung kann je genug sein - es kann immer nur eine Taktik, eine List sein.

Ohne die Verschwörung des westlichen Liberalismus verliert die KPC ihre Daseinsberechtigung. Es wäre nicht mehr notwendig, eine Fortschrittspartei zu unterhalten. Xi könnte seine Partei sich ebenso gut friedlich entwickeln lassen.

Wir wissen, daß dieses Dokument authentisch ist, denn die chinesische Journalistin, die es im Internet veröffentlichte, Gao Yu, wurde festgenommen und ihrem Kind wurden unvorstellbare Dinge angedroht. Die Drohungen ihren Sohn betreffend veranlaßten sie, das erste Geständnis im Stil der Kulturrevolution im Fernsehen zu machen.

Im November 2013 ernannte Xi sich selbst zum Vorsitzenden einer neuen zentralen Staatssicherheits-Kommission, zum Teil, um „den von den westlichen Nationen gebildeten extremistischen Kräften und ideologischen Herausforderungen an die Kultur“ entgegenzuwirken.

Heute ist jedoch das Internet das Hauptschlachtfeld. Es geht alles um die Cyber-Souveränität.

Schluss

Der Schlüsselpunkt hinsichtlich der kommunistischen Parteiideologie - der ungebrochene Faden, der von Lenin über Stalin, Mao bis Xi läuft - ist, daß die Partei sich immer dadurch definiert hat, daß sie sich im permanenten Kampf mit den „feindlichen“ Kräften des westlichen Liberalismus befindet.

Xi redet ernsthaft und handelt entschieden, um ein Projekt totaler ideologischer Kontrolle voranzutreiben, wo immer dies für ihn möglich ist. Seine Vision erfordert, daß „alle Chinesen in einem einzigen Willen vereint sind wie eine mächtige Stadtmauer“, wie er bei seiner Rede vom Mai 2015 zum Tag der Arbeit „den breiten Massen der Jugend“ erklärte. Sie müssen ihren Charakter „härten“, sagte Xi, zurückgreifend auf eine Metapher, die sowohl von Stalin als auch von Mao bevorzugt wurde.

Es gibt keine Zweideutigkeiten in Xi’s Vorhaben. Wir sehen es in allem, was er tut - sogar bei einem System, das angelegt ist, um undurchsichtig und irreführend zu sein - wir können es in seinen Worten erkennen.

Xi hat dieses ideologische Projekt nicht erfunden, er hat es jedoch kräftig wiederbelebt. Zum ersten Mal seit Mao haben wir einen Führer, der redet und handelt, wie er es wirklich meint.

Und er treibt die kommunistische Ideologie vorwärts zu einer Zeit, wo die Idee des „Kommunismus“ so unattraktiv ist, wie sie es in den letzten 100 Jahren nicht war. Alles, was bleibt, ist eine Ideologie der Macht, verbrämt als Patriotismus, aber das heißt nicht, daß es nicht funktionieren kann.

Xi hat schon gezeigt, daß das subversive Versprechen des Internets umgedreht werden kann. Im Verlauf von fünf Jahren hat er mit Hilfe der Wissenschaft von Massendaten (Big Data) und künstlicher Intelligenz das Internet von einem Instrument der Demokratisierung zu einem Werkzeug allwissender Kontrolle zurechtgebogen. Die Reise nach Utopia ist noch im Gange, aber zuerst müssen alle eine  künstlich ermöglichte Antiutopie bewältigen, um die Kräfte der Konterrevolution zu besiegen.

Die Kühnheit dieses Plans ist atemberaubend, und ebenso sind seine Implikationen.

Die Herausforderung für uns ist, daß Xi’s Projekt der totalen ideologischen Kontrolle an Chinas Grenzen nicht Halt macht. Es ist so verpackt, daß es mit chinesischen Studenten, Touristen, Migranten und vor allem mit dem Geld reist. Es fließt durch die Kanäle des chinesisch-sprachigen Internets, stößt in alle wesentlichen Medien- und Kulturräume der Welt vor und hält gemeinhin Schritt mit Chinas wachsenden globalen Interessen oder nimmt sie vorweg.

Meine Meinung ist: Wenn Sie auf dem Gebiet des Geheimdienstes, der Verteidigung oder der internationalen Beziehungen tätig sind, oder im Handel, in der Wirtschaftspolitik oder in der Marktregulation, oder in den Geisteswissenschaften, der höheren Bildung, oder zur Bewahrung der Integrität unseres demokratischen Systems beitragen - in anderen Worten, einfach mit irgendeiner wesentlichen politischen Aufgabe beschäftigt sind -, dann sollten Sie praktische Kenntnisse vom Marxismus-Leninismus und dem Gedankengut Mao Zedongs haben. Und nach dem 19. Parteikongreß werden Sie auch das „Gedankengut Xi Jinpings“ brauchen.