17. April 2023

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Der Dalai Lama, der Junge und die KPC: Die wahre Geschichte eines „Sturms im Teetopf“

Von Marco Respinti


Ist der Vater Tibets ein Pädophiler? Die Geschichte kann als Sturm in einem Pott mit Schwarztee vom Himalaya abgetan werden, wird aber von der KPC und ihren Mitläufern böswillig ausgenutzt.

1. Am 28. Februar 2023 empfing Seine Heiligkeit der Dalai Lama, der spirituelle Vater der Tibeter, rund 120 Studenten, die ein von der M3M-Stiftung, dem philanthropischen Zweig des indischen Immobilienunternehmens M3M Group, organisiertes Ausbildungsprogramm absolviert hatten. Seine Heiligkeit empfing die Studenten im Hof des Tsuglagkhang-Komplexes, der den sogenannten „Tempel des Dalai Lama“ enthält, in Mcleod Ganj, einem Vorort der Stadt Dharamshala im Bezirk Kangra, der „Winterhauptstadt“ des indischen Bundesstaates Himachal Pradesh. Der Dalai Lama wohnt dort seit 1959, als er und einige seiner Gefährten gezwungen waren, Lhasa, die Hauptstadt des historischen Tibets, in Richtung Indien zu verlassen. Dies geschah aufgrund der militärischen Besetzung Tibets durch die Volksrepublik China (VR China), die seit dem 1. Oktober 1949 ein kommunistisches Land ist, das systematisch und mit großer Härte religiöse Gruppen und ethnische Minderheiten verfolgt und die Menschenrechte verletzt. In Mcleod Ganj residiert auch die Tibetische Zentralverwaltung bzw. die Exilregierung Tibets unter dem Vorsitz des Sikyong (der Funktion eines Premierministers), zusammen mit mehreren tausend tibetischen Siedlern und Flüchtlingen.

Der Dalai Lama und der Junge in dem berüchtigten Video


2. Mehr als vierzig Tage nach dem Ereignis wurde am 8. April 2023 eine kurze Nachricht von The Times of India, der Auflage nach der drittgrößten indischen Zeitung, in englischer Sprache veröffentlicht, in der eine Episode dieses Treffens anhand eines Videoausschnitts gezeigt wurde. Der Dalai Lama küßte „bei einer buddhistischen Veranstaltung einen kleinen Jungen auf die Lippen“ und forderte ihn auf, „seine Zunge zu lutschen“. Die Times of India verwendete das unsägliche Wort: „Für einige ist dies gleichbedeutend mit Pädophilie.“ Das Thema verbreitete sich in den sozialen Medien und Bildmaterial erschien in der ganzen Welt, Anschuldigungen und Anklagen füllten die internationale Presse.

3. In ihrer Gänze betrachtet scheint diese Episode komplexer zu sein und sich von dem bearbeiteten Bildmaterial, das im Umlauf war, zu unterscheiden. Aus der am Tsuglagkhang versammelten Menge fragte ein indischer Bub, der viel jünger als die Studenten des M3M-Programms war, den Dalai Lama über ein Mikrofon, ob er ihn umarmen dürfe. Zunächst verstand Seine Heiligkeit die Bitte nicht. Dann stimmte er freudig zu. Aber hat ihn der Dalai Lama wirklich verstanden? Er forderte den Jungen tatsächlich auf, ihn auf die Wange zu küssen. Der Junge tat es und umarmte ihn lächelnd. Der Dalai Lama hielt die Hand des Jungen und bat ihn, ihn auf die Lippen zu küssen. Der Junge tat es schüchtern und lächelnd, und das ganze Publikum lachte. Ihre Stirnen berührten sich. Dann forderte Seine Heiligkeit den Jungen auf, an seiner Zunge zu „lutschen“. Wieder lachten alle. Schließlich legte der Dalai Lama dem Jungen die Hand auf die Wange, umarmte ihn für ein paar Sekunden und gab ihm eine kurze Belehrung. Und dann kitzelte er ihn. Sie haben offensichtlich gescherzt und gelacht, aber die Begegnung hatte auch ernste Momente.

4. Das Ereignis war Teil eines längeren Treffens. Der Vorfall an sich war ein marginaler Moment der gesamten Veranstaltung. Er fand in aller Öffentlichkeit statt, wurde von Kameras gefilmt und über Mikrofone vor einem Publikum von mehr als 120 Personen, darunter der Mutter des Jungen, übertragen. Keiner der Zuhörer erhob sich verächtlich oder verließ die Sitzung. Vierzig Tage lang sprach niemand über den Vorfall. Die Interaktion zwischen Seiner Heiligkeit und dem Jungen war länger als die wenigen belastenden Bilder und Filmaufnahmen. In ihrer Gesamtheit betrachtet, enthüllt sie nichts Skandalöses oder Obszönes. Sowohl das Publikum als auch die Mutter des Jungen haben gelächelt und applaudiert.

5. Der Junge und seine Mutter wurden an jenem 28. April 2023 von Voice of Tibet, einem in Dharamsala ansässigen Mediennetzwerk, interviewt. Die Frau tauchte in vielen Videos auf, in längeren oder kürzeren. Alle waren sich einig, daß sie die Mutter des Jungen ist. Im Interview mit Voice of Tibet stellte sie sich als Dr. Payal Kanodia, Treuhänderin der M3M-Stiftung, vor. Sie war diejenige, die die Studentendelegation zum Treffen mit Seiner Heiligkeit brachte. In Anbetracht der Umstände sieht es so aus, als hätte sie ihr Kind auch zu dieser wichtigen Veranstaltung mitgenommen, die für ältere Studenten organisiert wurde. Seltsamerweise wunderte sich niemand darüber, daß ein kleiner Junge an einem Treffen für viel ältere Studenten teilnahm. Der Name des Jungen wurde bisher noch nicht genannt. In dem Interview mit Voice of Tibet bedankten sich sowohl der Junge als auch seine Mutter aufrichtig beim Dalai Lama für das äußerst bedeutungsvolle Treffen. Das Wort, das sowohl von der Mutter als auch vom Sohn am häufigsten verwendet wurde, war „Segen“. Niemand machte Andeutungen über etwas Unangemessenes. Dieses Interview wurde jedoch von den internationalen Medien ignoriert.

6. Die weltweite Anti-Dalai-Lama-Kampagne, die am 8. April 2023 begann, veranlaßte Seine Heiligkeit, sich am 10. April 2023 bei dem Kind und seiner Familie zu entschuldigen. Zuvor gab es eigentlich keinen Grund dafür. Wie bereits erwähnt, hatte sich der Vorfall vierzig Tage zuvor ereignet, und vierzig Tage lang hatte niemand den Dalai Lama beschuldigt, etwas Unrechtes getan zu haben. Der Junge tat es nicht. Seine Mutter auch nicht. Weder der Junge noch seine Mutter baten jemals um eine Entschuldigung Seiner Heiligkeit, die sie jedoch erhielten. Vierzig Tage lang erwähnte niemand den Vorfall. Seine Heiligkeit entschuldigte sich, als er erkannte, daß sein Verhalten von feindlichen Quellen und in den sozialen Medien falsch dargestellt, mißverstanden oder noch verschlimmert werden könnte.

7. In einer offiziellen Mitteilung vom 10. April 2023 schrieb die Grupo de Apoio ao Tibete-Portugal: „Wir sollten nicht vergessen, daß es eine abartige Beziehung zwischen der chinesischen Regierung und einigen indischen Medien (und darüber hinaus) gibt. Vor drei Jahren wurde der indische Journalist Rajeev Sharma von den indischen Behörden verhaftet, weil er Staatsgeheimnisse gestohlen und geheime Informationen an das chinesische Regime geschmuggelt haben soll. Die chinesischen Medien freuen sich über jede Gelegenheit, den Dalai Lama noch mehr als sonst verunglimpfen zu können, und verbreiten bereits beleidigende Memes mit seinem Bild. Wir bedauern die Bedeutungsänderungen und den Mißbrauch, die gemacht werden, was auch aus der Unkenntnis der tibetischen Kultur resultiert. Das Zeigen der Zunge ist in der tibetischen Kultur üblich und kann ebenso ein Zeichen des Respekts sein wie auch ein Gruß oder sogar eine Entschuldigung.“

8. Am 11. April 2023 wies der Twitter-Account von Nepal Correspondence, einer Plattform für investigativen Journalismus mit Sitz in Nepal, auf die Tatsache hin, daß chinesische Trolle, kurz nachdem das maßgeschneiderte Bildmaterial die Episode zu einem Vorkommnis gemacht hatte, eine Kampagne starteten und den Dalai Lama der Pädophilie beschuldigten. In einem Artikel vom 13. April 2023 in der amerikanischen Online-Zeitschrift International Business Times, die fünf nationale Ausgaben in vier Sprachen veröffentlicht, prangerte der Exiltibeter Lobsang Yeshi die Internet-Kampagne gegen den Vater der Tibeter als eine Verschwörung der KPC an und wies auf die fieberhaften Aktivitäten chinesischer Fake-Accounts und Trolle in den sozialen Medien hin. Er betonte, daß „innerhalb weniger Wochen nach der öffentlichen Veranstaltung [...], an der auch ein großes Medienaufgebot teilnahm, ein böswillig bearbeitetes und manipuliertes Video über die Interaktion Seiner Heiligkeit mit dem indischen Jungen von der chinesischen Cyber-Armee, den Internetnutzern und den Handlangern der KPC in ganz China und Tibet in Umlauf gebracht wurde. Nach Angaben von Tibetern in Tibet und China wurde dieses Video in den chinesischen sozialen Medien weit verbreitet und von den Regierungsstellen der KPC massiv angeheizt. Mehr als einen Monat lang haben die von China gesponserten Cyber-Gangster in Tibet und China hart gearbeitet, um das Image des Dalai Lama zu beflecken, indem sie ihn des sexuellen Fehlverhaltens beschuldigten.“

Die Tatsache, daß die Kampagne vierzig Tage lang nur innerhalb der Grenzen der VR China stattfand, hilft, zwei Dinge zu erklären: das Schweigen der internationalen Mainstream-Medien zwischen dem Ereignis und der von der Times of India veröffentlichten Nachricht (was erklärt, warum während dieser vierzig Tage keine Entschuldigungen nötig waren) und die Tatsache, daß zu diesem Zeitpunkt alles bereit zu sein schien, zu explodieren (was uns erklärt, warum die von der Times of India veröffentlichte Nachricht kurz war und die Leser den Eindruck hatten, daß das Video „einigen“ oder „vielen“ bereits hinreichend bekannt war). Am 12. April 2023 beklagte die Associazione Italia-Tibet ebenfalls Manipulationen und faßte sie unter dem Titel einer der bekanntesten Komödien des englischen Dramatikers William Shakespeare (1564-1616), Much Ado About Nothing (Viel Lärm um nichts), zusammen.

9. In der tibetischen Kultur ist es üblich, daß sich heterosexuelle Menschen des gleichen Geschlechts auf die Lippen küssen oder ähnliche Gesten ausführen. Der Dalai Lama wurde dabei mehrmals mit verschiedenen Personen fotografiert. Manche Menschen im Westen mögen das als seltsam empfinden. Einige Westler mögen es nicht einmal, wenn sie von Nicht-Verwandten mit einem Kuß auf die Wange begrüßt werden. Gleichzeitig grüßen andere Westler Nicht-Verwandte sogar mit zwei Küssen auf die Wange. In Mittel- und Osteuropa begrüßen sich die Menschen auch mit drei Küssen auf die Wange (und exportieren diesen Brauch in andere Regionen, in denen sie zufällig leben) und anderen Zeichen der Zuneigung. In Sowjetrußland wurde die moderne Tradition eingeführt, daß sich Männer als Zeichen der besonderen sozialistischen Kameradschaft mit einem Kuß auf die Lippen begrüßen, was im heutigen postkommunistischen Rußland manchmal noch von heterosexuellen Männern und Frauen praktiziert wird.

Das Christentum hat die Tradition des Kusses auf die Lippen zwischen Heterosexuellen gleichen Geschlechts begründet, um Frieden und Brüderlichkeit zu symbolisieren. Diese Praxis wird im Neuen Testament fünfmal empfohlen: siehe Römer 16:16, 1. Korinther 16:20, 2. Korinther 13:12, 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher 5:26 und 1. Petrus 5:14. Er wird „heiliger Kuß“ genannt, um ihn von einem sexuellen Kuß zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist ein wichtiger Hinweis darauf, daß ein Kuß auf die Lippen innerhalb einer religiösen Tradition akzeptabel sein kann und keine sexuelle Bedeutung hat. Im weiteren Sinne, hat das, wenn es sich also um Minderjährige handelt, nichts mit Pädophilie zu tun. Ausgehend von diesen christlichen Grundlagen hat der britische Karrierediplomat Andy Scott in seinem 2019 erschienenen Buch „One Kiss or Two: In Search of the Perfect Greeting“ ein ganzes Buch mit Untersuchungen zum Kuß als Gruß veröffentlicht.

10. In der tibetischen Kultur ist es Tradition, jemanden zu begrüßen, indem man die Zunge herausstreckt. Dies wurde unter anderem von der BBC erwähnt. Vor neun Jahren, im April 2014, veröffentlichte die BBC eine kuriose und interessante Nachricht, die sie als Leitfaden für ungewöhnliche Grußformeln aus aller Welt präsentierte. Auf Platz 1 der Liste steht Tibet, wo das Herausstrecken der Zunge eine Art der Begrüßung ist. „Es ist eine Tradition seit dem 9. Jahrhundert“, erklärt die BBC, „aus der Zeit eines unbeliebten Königs namens Lang Darma, der für seine schwarze Zunge bekannt war. Die Menschen in Tibet glaubten, der König sei wiedergeboren worden, und um zu beweisen, daß sie nicht der König waren, zeigten sie also ihre Zungen.“ Darma Udumtsen, auch Langdarma genannt, regierte wahrscheinlich von 838 bis 841 n. Chr. Er war ein Mörder und ein Verfolger der Buddhisten. Man sagte, er sei die Inkarnation von Goshirsha, dem stierköpfigen Wächter der Hölle, daher sein Spitzname „Darma, der Stier“. Man sagte, er habe „eine schwarze Zunge“ gehabt. Die Tibeter strecken ihre Zunge heraus, um zu zeigen, daß ihre Zunge nicht schwarz ist und sie keine Übeltäter sind. Wie die BBC feststellt, ist dieser „traditionelle Gruß heute eine Form des Respekts“. Als der Dalai Lama dem Jungen am 28. Februar 2023 die Zunge entgegenstreckte, zollte er ihm also Respekt und trieb böse Geister aus, wie es in der tibetischen Kultur heißt. Dieser Brauch wird auch in dem Hollywood-Film „Sieben Jahre in Tibet“ von 1997 des französischen Regisseurs Jean-Jacques Annaud dargestellt. Der Film basiert auf den 1952 unter dem gleichen Titel veröffentlichten Memoiren des österreichischen Bergsteigers und SS-Feldwebels Heinrich Harrer (1912-2006) und wird von dem berühmten amerikanischen Schauspieler Brad Pitt interpretiert. Beim Trekking auf dem Dach der Welt vor der Invasion der KPC trifft Pitt-Harrer auf eine Gruppe von Tibetern, die ihm zur Begrüßung und als Zeichen des Respekts die Zunge herausstrecken.

11. Jeder weiß, und das schon seit Jahrzehnten vor dem Zwischenfall vom 28. Februar 2023, daß Seine Heiligkeit gerne Scherze macht und die Leute neckt. Wie der frühere Sikyong Lobsang Sangay in einer Rede an der Universität von Colorado in Boulder am 11. April 2023 betonte, ist der Dalai Lama eine neckische Person, die manche Gäste am Bart zieht oder politisch unkorrekt auf den großen Kopf eines anderen zeigt. Am 28. Februar 2023 scherzte er auf die gleiche Weise mit einem kleinen Jungen.
Penpa Tsering, der gegenwärtige Sikyong, hat am 13. April 2023 bei einem Treffen im Foreign Correspondents Club in Neu-Delhi, Indien, die gleiche Haltung eingenommen.

12. Berichten zufolge forderte der Dalai Lama den Jungen auf, an seiner Zunge zu lutschen. Auf YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=bT0qey5Ts78)gibt ein tibetischer Kommentator viele nützliche Details und Erklärungen und bietet der Welt die Möglichkeit, das gesamte Video der Episode, die sich in einen Störfall verwandelt hat, zu sehen. Er brachte den Vorfall mit dem in Verbindung, was nicht wohlhabende tibetische Großeltern tun, wenn ihre Enkelkinder um Süßigkeiten oder Münzen bitten. Sie hören ihnen zu und spielen ihnen eine Art Streich, indem sie ihnen eine Lebensweisheit erteilen. „Küß mich auf die Wange“, sagen sie, „berühre meine Stirn, laß unsere Nasen sich berühren, und nachdem du alles von mir bekommen hast, bleibt nur noch meine Zunge zu essen.“ Wie der Kommentator anmerkt, spricht der Dalai Lama nicht fließend Englisch. Wenn ich hinzufügen darf, habe ich das selbst erlebt, als ich ihn am 16. Dezember 2022 in Mcleod Ganj besuchte. Als der Junge am 28. Februar 2023 um eine Umarmung bat, verstand er ihn nicht sofort. Er bat ihn, es zu wiederholen, und brauchte dann die Hilfe von einem Dolmetscher, um die Bitte vollständig zu verstehen. Möglicherweise hat er sich im Englischen falsch ausgedrückt. Der Inhalt seiner Geste ist jedoch offensichtlich. Sie hat nichts Pädophiles an sich.

13. Wenn auch nicht pädophil, so fanden doch einige in unserer westlichen Welt, die sowohl übersexualisiert ist als auch von extremen Interpretationen der politischen Korrektheit beherrscht wird, in der die Werte verwirrt sind und sogar verloren gehen, den Akt sowohl ekelhaft als auch unangemessen. Aber im tibetischen kulturellen Kontext war das nicht so. Während einige Westler einige tibetische kulturelle Praktiken nicht verstehen und akzeptieren können, kann Tibet einige der westlichen Vorwürfe nicht verstehen. Dies bietet wichtiges Material für eine Schlußfolgerung.

Marco Respinti beim Dalai Lama


Die beiden gegensätzlichen Irrtümer des Kulturrelativismus und des Neokolonialismus sind gemeinsam zu bekämpfen. Es gibt objektive Normen für moralisches Verhalten. Wäre dem nicht so, könnte niemand Handlungen wie die der iranischen Gasht-e-Ershad oder „Guidance Patrols“, die von den Medien „Sittenpolizei“ genannt werden, als kriminell bezeichnen. Die Einheit wurde im Sommer 2005 als Erbe der Komitees der Islamischen Revolution aus den 1980er Jahren gegründet, die die gleiche Aufgabe hatten, die Auffassung des Regimes von der Scharia, dem islamischen Recht, durchzusetzen, einschließlich der korrekten Art und Weise, wie Frauen den Hidschab zu tragen haben, was zu brutaler Gewalt und sogar zu Morden führte. Diese Handlungen sind objektiv falsch, und alle müssen sie verurteilen. Es gibt keine Möglichkeit, die Taten von Gasht-e-Ershad als Aspekte einer bestimmten religiösen Kultur zu definieren, die andere vielleicht mißbilligen, aber respektieren und letztlich akzeptieren sollten. Ihre Taten sind einfach unmoralisch und inakzeptabel. Gleichzeitig kann niemand muslimischen Frauen das Recht absprechen, den Hidschab zu tragen (oder etwa indischen Frauen und katholischen Nonnen das Tragen von Kopfbedeckungen), nur weil dies in anderen Kulturen und Ideologien als unangenehm empfunden wird.s Die Freiheit steht an erster Stelle, und sie geht immer Hand in Hand mit der Wahrheit. Daher sollte es allen freistehen, nach ihren kulturellen und religiösen Bräuchen zu handeln, die andere vielleicht als seltsam empfinden, sofern sie nicht gegen das positive oder natürliche Recht verstoßen. Und jeder sollte anerkennen, daß Belästigung, Folter, Gewalt und Tötung immer unmoralisch sind und es dafür keine Entschuldigung gibt.

Die Menschen sollten dann die Freiheit haben, Aspekte der tibetischen Kultur abzulehnen, und die Tibeter sollten die Freiheit haben, danach zu handeln, bis und solange sowohl Kritiker als auch Ausführende nicht gegen positives oder natürliches Recht verstoßen. Wenn diese geordnete und wahrheitsgemäße Freiheit gewährt wird, können wir die beiden Irrtümer des kulturellen Relativismus oder der Vorstellung, daß es keine objektiven und universellen moralischen Standards gibt, und des Neokolonialismus vermeiden, der impliziert, daß die Unterdrückung lokaler Kulturen an sich eine Form des Fortschritts ist, der gefördert und umgesetzt werden muß. In der Zwischenzeit sollte auch das Recht eines jeden Menschen garantiert werden, nicht fälschlicherweise eines schändlichen Verbrechens beschuldigt zu werden. Moralische Standards müssen von allen respektiert werden, aber nicht alle Verhaltensweisen, die denen, die in einer anderen Kultur leben, seltsam erscheinen, sind Verstöße gegen universelle ethische Gesetze. Die besten Missionare verschiedener Religionen waren oft die frühesten Kulturanthropologen (man erinnere sich nur an den Namen von Matteo Ricci, 1552-1610, dem großen katholischen Jesuitenmissionar in China) und sie wußten dies sehr wohl.

Wenn all dies geklärt ist, bleibt nur der inszenierte Versuch übrig, das Bild eines großen geistigen Würdenträgers zu ruinieren, der sich nie mit der Brutalität der KPC abgefunden hat, und die Ignoranz viel zu vieler Medien, die unkritisch die Propaganda des chinesischen Regimes wiederholen.