14. Januar 2009
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Ein Anruf in Tibet? Bitte legen Sie auf und versuchen es erneut!

Huffington Post, von Rebecca Novick

„Sie haben den falschen Anschluß gewählt, Ich habe keinen Sohn.“ Das bekam der 19jährige Legdup zu hören, als er seine Mutter aus dem indischen Dharamsala anrief. Der tibetische Mönch, mit dem ich in einem dunklen Café mit faszinierendem Ausblick auf die Vorberge des Himalaya sitze, der den nordindischen Bundesstaat Himachal Pradesh von seiner Heimat trennt, nickt still, als ich ihm von Legdup erzähle, und vertraut mir an, auch seine in Tibet zurückgebliebenen Angehörigen würden sich weigern, mit ihm zu sprechen. Ein anderer junger Mann erzählt, seine Mutter bestünde darauf, daß er sie nicht mehr anrufe. Die 24 Jahre alte Studentin Yangzom, die Tibet im Jahr 2006 verließ, ruft nicht mehr zu Hause an, weil sie ihre Eltern nicht in Gefahr bringen möchte. Egal, wen man in dieser Stadt fragt, man bekommt immer die gleiche Geschichte zu hören. Leute, die Angst haben, Anrufe anzunehmen. Leute, die Angst haben, selbst anzurufen.

Diese Angst ist wohlbegründet. Im April 2008 berichtete Radio Free Asia, die bekannte Sängerin und Autorin Jamyang Kyi sei verhaftet und gefoltert worden, weil sie ihre Freunde per SMS über die Proteste informiert hatte. Im November berichtete International Campaign for Tibet von der Verurteilung der Tibeterin Norzin Wangmo zu fünf Jahren Haft, nur weil sie versucht hatte, per Telefon und Internet Informationen über die Lage in Tibet an die Außenwelt weiterzugeben.

Ein Telefongespräch kann mitten im Satz unterbrochen werden, erzählen Exiltibeter, insbesondere, wenn man „heikle“ Themen anspreche. Ein Mann, mit dem ich kürzlich gesprochen habe, erkundigte sich gerade bei seiner Tante, zu wieviel Jahren sein Bruder, der an den Protesten im Frühjahr beteiligt war, verurteilt worden sei. Klack - die Verbindung riß ab. Manchmal hören Anrufer aus dem Ausland chinesische Stimmen im Hintergrund. Ein tibetisch-amerikanischer Mann erzählte mir, seine Anrufe bei seiner Familie in Lhasa würden unerklärlicherweise immer wieder zu einem Anschluß in Indien weitergeleitet.

Für die Tibeter im Exil bedeutet das einfach einen weiteren Schmerz zusätzlich zu der langen Liste ihrer Leiden. Die Realität des Exils trennt sie von ihren Freunden und Angehörigen, und wird ihnen auch noch die letzte Kontaktmöglichkeit zu ihren Lieben genommen. „Man muß versuchen, das in der rechten Perspektive zu sehen“, meint Alison Pinkney, eine schottische Dokumentarfilmerin, die in Dharamsala viel mit jungen Tibetern zu tun hat. „Wenn ich meine Mutter in Schottland anrufe, stört mich allerhöchstens die schlechte Verbindung.“ Sogar, wenn sie mit ihrem Anruf durchkommen, sprechen die Tibeter höchstens über so banale Dinge wie das Wetter oder das Essen. „Ganz egal, was passiert, meine Familie in Tibet sagt immer ‚es geht uns gut’, erklärt ein junger NGO-Mitarbeiter. „Wir wissen, daß das nicht stimmt, aber keiner wagt es, tiefer zu schürfen.“

Diese Selbstzensur macht die Leute mundtot. Wenn man nicht weiß, wo die Grenze ist, bleibt man in sicherer Entfernung vor ihr stehen. Auf alle Fälle... Jeder in Tibet weiß, daß Telefonate überwacht werden, und Mobiltelefone haben sich als nicht sicherer erwiesen als Festnetz-Anschlüsse. Polizisten vom Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) können sehr schnell vor der Tür stehen, wenn man mit jemand im Ausland, insbesondere in Indien, gesprochen hat, denn für Peking ist dort die Heimstatt der viel geschmähten „Dalai Clique“, und die Tibeter werden dort mit gefährlichen Ideen wie Demokratie und Redefreiheit infiziert.

Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte handelt von dem Recht, „Meinungen ungehindert anzuhängen, sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“. Die Architekten der Erklärung wußten sehr wohl, daß die Kontrolle der privaten Kommunikation der Schlüssel für das Funktionieren eines modernen Polizeistaats ist, so wie wir ihn im Tibet von heute haben.

So viel Sorgen sich die chinesische Führung auch darüber machen mag, daß der populäre Dissens durch den Einfluß aus dem Ausland genährt werde, ihre hausgemachte Freiheitslobby ist es, die ihr tatsächlich den Schlaf rauben dürfte, und zwar vor allem, wenn diese andeutet, die diversen Freiheitsbewegungen im Land vereinigen zu wollen. Die folgenden Bemerkungen stammen aus einem Call-in Programm von RFA. Der Anrufer ist ein tibetischer Student namens Lobsang, der eine Universität in China besucht.

„Gegenwärtig haben viele von uns jüngeren Tibetern das Gefühl, daß wir etwas tun müssen, uns erheben müssen… Wir sind ein Volk, das von einem anderen unterdrückt wird und das Stück für Stück seiner Kultur und Identität beraubt wird… Ich fühle, die daß die Menschen in Tibet die ‚Fackel entzünden’ müssen… Die Chinesen betrügen nicht nur die Welt, sondern auch ihre eigenen Bürger mit den Bildern von einem friedlichen Tibet… Wir sollten uns nicht nur für die Tibeter einsetzen, sondern für die Demokratie in ganz China arbeiten.“

Trotz aller „olympischen“ Bemühungen wird Freiheit immer mehr zu einem brandheißen Thema in China. Und mit 200.000 neuen Handy-Anmeldungen jeden Tag wird der chinesische Überwachungsapparat eine Menge Überstunden machen müssen, wenn er alle Gespräche abhören will.

Die Autorin, die derzeit in Dharamsala lebt, betreibt das Radioprogramm „The Tibet Connection“.